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»Der Generationenvertrag ist nur zu retten, wenn die Eltern entlastet werden.«

Leitartikel
Sozialer Friede bedroht

Renten: die
harte
Wahrheit


Von Jürgen Liminski
Es war der alte Kaiser Wilhelm. Er führte das Renteneintrittsalter 65 ein, und zwar im Jahr 1916, also vor fast einem Jahrhundert.
Das ist an sich noch kein Grund, es jetzt heraufzusetzen. Aber der demographische Niedergang in diesem Jahrhundert sucht in der Geschichte seinesgleichen. Im Jahr 2030 wird Deutschland ein Drittel seiner Bevölkerung verloren haben, wie nach dem dreißigjährigen Krieg, und schlimmer noch: Dann wird es vermutlich einen Rentner auf zwei Erwerbstätige geben.
Das ist mit dem heutigen System selbst bei einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 schlicht nicht zu bezahlen. Die erste Krise des Systems kommt sogar noch früher: 2010 erreicht die Generation der »Baby-Boomer« das Rentenalter. Diese geburtenstarke Generation wird das System im wahrsten Sinn des Wortes überfluten. Eigentlich müsste das Rentenalter schon bis dahin auf 67 erhöht sein, was aber das Problem auf der langen Bank des Generationenvertrages lediglich etwas weiter rücken, aber nicht lösen würde.
Angesichts dieser unausweichlichen und leicht berechenbaren Fakten mutet die jetzige Rentendiskussion irgendwie weltfremd an - um nicht zu sagen wie ein Ablenkungsmanöver. Bisher hat sich noch jede Regierung um dieses Problem gedrückt. Für Helmut Kohl war es eine Machtfrage, er wollte die Rentner-Wähler nicht aus der Blüm'schen Sicherheitstrance wecken, auch Schröder laborierte mit der Riester-Rente und Nullrunden nur an den Symptomen. Auch die jetzt von SPD-Vize Beck wahlträchtig ausgelöste Dachdecker-Diskussion kratzt nur an der Oberfläche. Zu der notwendigen Strukturreform fehlte und fehlt den Politikern aller Parteien der Mut.
Für diese Reform gibt es aber allerlei Anstöße. Da ist in erster Linie das Bundesverfassungsgericht zu nennen, das seit dem Trümmerfrauenurteil 1992 wiederholt darauf hingewiesen hat, dass Eltern mit der Erziehung von Kindern einen »generativen Beitrag« zur Bestandserhaltung des Systems leisten und dass dieser Beitrag vom finanziellen Beitrag abgezogen werden müsste.
Da die Politik nicht reagierte, hat Karlsruhe dann im Pflegeurteil 2001 eine Frist gesetzt. Auch hier hinkt die Politik hinterher. Aber es hilft alles nichts: Der Generationenvertrag ist nur dann zu retten, wenn die Eltern entlastet, sprich gerecht behandelt werden, was bedeutet, dass die Kinderlosen entweder höhere Beiträge zu entrichten oder geringere Leistungen zu erwarten haben. Alles andere sind Pflaster auf klaffende Wunden, so auch die Erhöhung auf 67.
Die Leistung, die das Volk von seiner Regierung nun erwartet, ist einfach: Die Wahrheit sagen, erst- mal sich selbst im Kabinett, ungeachtet aller Harmoniesüchte, und dann in den Parteien, ungeachtet aller Profilierungssüchte, und schließlich dem Volk, ungeachtet aller Machtfragen.
Denn mittlerweile geht es nicht mehr nur um Gerechtigkeit, sondern auch um den sozialen Frieden und die Zukunft.

Artikel vom 10.02.2006