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»Nur selbstbewusste, pluralistische Gesellschaften sind moralisch wehrhaft.«

Leitartikel
Ignoranz und Toleranz

Wenn man
Undenkbares
denken muss


Von Andreas Schnadwinkel
Von europäischer Solidarität ist im Streit um die Mohammed-Karikaturen leider wenig zu spüren. In Kairo wirbt eine französische Einzelhandelskette damit, keine dänischen Waren oder Produkte mit Inhaltsstoffen aus Dänemark zu verkaufen. Das erinnert fatal an Nazi-Kampagnen gegen jüdische Händler. Man könnte von einer widerwärtigen NS-Parole den Slogan ableiten: »Moslems, wehrt euch, kauft nicht bei Dänen!«
Wer meint, mit solchen Methoden sein Geschäft mit muslimischen Kunden retten zu können, bestärkt indirekt den Umkehrschluss, dass dem politischen Islam eine faschistische Grundhaltung innewohne.
Europas Bürger und die von ihnen gewählten Entscheidungsträger müssen erst einmal begreifen, dass im Iran derzeit ein Mann an der Macht ist, der während seiner Zeit auf Erden den Jüngsten Tag, die Apokalypse oder was auch immer Endzeitliches erleben will. Nur weil sich säkulare Mitteleuropäer solches Denken nicht vorstellen können, scheidet diese Gefahr nicht aus.
Für Islamisten wie Mahmud Ahmadinedschad sind die Mohammed-Karikaturen das Öl im Feuer ihres Kulturkampfes. Wollen radikale Muslime diesen bislang einseitig geführten Kampf anheizen, beschleunigen und bis zur entscheidenden Schlacht abkürzen? Eine Atombombe auf Israel wäre der finale Schlag, der vom Kampf der Kulturen zum Weltkrieg mit unabsehbaren Folgen werden könnte. Das muslimische Land, das Israel besiegen würde, hätte für immer die Führungsrolle in der islamisch-arabischen Welt.
Irans Präsident folgt dem Kalkül, sich mit der Drohung nach außen auch nach innen zu stärken. Ahmadinedschad gilt in Teheran als geschwächt, weil er seit seinem Wahlsieg vor sechs Monaten die Lebensverhältnisse der Iraner nicht verbessern konnte. Je schriller nun seine Reden geraten, desto mehr Rückhalt verspricht er sich davon im Land. Was nicht bedeutet, dass der Mann nicht meint, was er sagt und androht.
Dass Extremisten den Kulturkampf zu verschärfen versuchen, folgt einer simplen Logik: Die islamische Welt ist religiöser und gläubiger als der säkulare Westen. Islamisten sind deswegen überzeugt, den Kampf der Kulturen zu gewinnen - weil die nicht-religiösen westlichen Gesellschaften in der langen Friedenszeit nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Konfliktfähigkeit verloren haben.
Via Dänemark wird Europa die Auseinandersetzung aufgezwungen, um Millionen friedlich in den EU-Staaten lebende Muslime zu radikalisieren. Wenngleich es aktuell nicht nach gewaltsamen Protestzügen aussieht, ist die Bedrohung existent.
Massenzuwanderung und Geburtenvorsprung, mangelnde Integration, ja, Abschottung und als Toleranz missverstandene Gleichgültigkeit machen die Situation nicht leichter.
Nur selbstbewusste, pluralistische Gesellschaften sind moralisch wehrhaft und für leistungsbereite Einwanderer attraktiv. Und mehr öffentlich gelebter christlicher Glaube in der Mitte der Gesellschaft täte Europa gut.

Artikel vom 14.02.2006