10.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kein Recht darauf, getötet zu werden

Bielefelder Ärzte wollen Konsiliardienst für Kollegen

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Sterbende zu begleiten, gehört zu den Aufgaben des Arztes. Patienten aktiv Sterbehilfe zu leisten - wie in den Niederlanden und Belgien erlaubt - auf keinen Fall. »Ein Nachgeben bei dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe oder ärztlich assistiertem Selbstmord würde die Messlatte absenken und zu einer Desensibilisierung des Gewissens führen«, meint Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe.

Der Präsident der Bundesärztekammer gehörte am Mittwoch zu den Referenten einer ärztlichen Fortbildung in der Kunsthalle.
Auf vielfachen Wunsch der niedergelassenen Mediziner, so Privatdozent Dr. Joachim Feldkamp als Vorsitzender der Bielefelder Ärztlichen Fortbildungskurse, lautete das Thema »Sterbebegleitung«. Und angesichts eines erneuten aktuellen Falles, in dem ein Krankenpfleger Patienten getötet hat - aus Mitleid, wie er angab - scheint das Thema brisant zu sein.
»Die Mitwirkung bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos«, betonte Hoppe. Aktive Sterbhilfe - und sei es auf Verlangen des Patienten - ist unzulässig. »Jeder hat das Recht auf einen würdigen Tod, aber nicht darauf, getötet zu werden.« Die aktive Sterbehilfe könnte zu einer unerträglichen Situation für Schwerstkranke führen, die nicht sterben wollen oder bis zuletzt hoffen: »Sie würden mit den Sterbewilligen verglichen und wären erpressbar.« Und wer weiß: Vielleicht spielten irgendwann die Kosten des Sterbens und die finanzielle Entlastung der Gemeinschaft eine Rolle.
Statt aktiver Sterbehilfe plädiert Hoppe für mehr Engagement in der Palliativmedizin und im Hospizwesen. Denn die Palliativmedizin könne heute viel mehr, als die meisten Menschen ahnen. Selbst wenn das Leben dem Ende entgegengehe, könnten die Mediziner bis zur letzten Minute etwas tun, um das Sterben zu erleichtern und Leiden zu milden, betonte auch der Bielefelder Allgemeinmediziner Dr. Ulrich Weller. »Erbrechen, Angst, Schwäche, Depressionen, Appetitlosigkeit - es gibt viele Symptome, die therapierbar sind.«
Diese Behandlung ermögliche es auch oft, einen Menschen zu Hause, in vertrauter Umgebung, sterben zu lassen. »Dazu bedarf es eines Netzwerkes: der Familie, der Nachbarn, eines kompetenten Pflege- und eines Hospizdienstes. Und der Hausarzt muss mehr oder weniger rund um die Uhr erreichbar sein.«
Weller gehört zu den Hausärzten, die stets mehrere sterbende Patienten betreuen. Gemeinsam mit fünf erfahrenen Palliativmedizinern - Kliniker und Niedergelassene - möchte er einen Konsiliardienst gründen, der im April an den Start gehen soll. Ein Angebot für Haus- und Fachärzte, aber auch für den Notdienst: Wer in einer Krisensituation eine Zweitmeinung hören oder einfach nur Ruhe in eine Situation bringen und den Angehörigen die Sicherheit vermitteln will, in den letzten Stunden wirklich nichts versäumt zu haben, kann diesen Konsiliardienst in Anspruch nehmen. Weller hofft, alle Kostenträger ins Boot zu bekommen.
Dritter Referent des Nachmittags war der Bielefelder Juraprofessor Dr. Wolfgang Schild, der die rechtliche Seite der Sterbebegleitung erläuterte. »Nichtjuristen sprechen oft über ganz andere Dinge als Juristen. Wenn die Begriffe geklärt wären, wären Probleme leichter lösbar.« So ist das Abstellen eines Apparates für Juristen keine Sterbehilfe, sondern Unterlassen: die Unterlassung weiterer Behandlung.
Ganz klar: Es gibt für jeden ein Selbstbestimmungsrecht in der Krankheit und im Sterben. »Und so lange ein Patient bestimmen kann, muss der Arzt sich dem fügen.« Ansonsten kann ein Betreuer bestellt werden, der als gesetzlicher Vertreter des Patienten gilt, ebenso ist eine Patientenverfügung gültig.
Im Zweifel aber, so Schild, müsse gelten: für das Leben. Er kritisiert die niederländische Regelung der Euthanasie: »Dort hat es im vergangenen Jahr 1000 Fälle aktiver Sterbehilfe ohne Zustimmung der Patienten gegeben.« Da sei die Gefahr des Missbrauchs übergroß, meinte Hoppe.

Artikel vom 10.02.2006