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Auch im Internet keine Chancengleichheit

Uni-Tagung über Bildungszugänge für Jugendliche

Von Sabine Schulze
Bielefeld (sas). Gut 90 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben in irgendeiner Form Zugang zum Internet. Und doch gibt es eine »digitale Ungleichheit«, sind im weltweiten Netz auch Nutzer benachteiligt. »Die Spaltung, die die Pisa-Studie verdeutlicht hat, wird beim Internet fortgeschrieben«, sagt Dr. Nadia Kutscher vom Kompetenzzentrum Informelle Bildung (KIB) der Universität.

Unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Uwe Otto veranstaltet das KIB bis Samstag eine internationale Tagung zum Thema »Grenzenlose Cyberwelt - digitale Ungleichheit und neue Bildungsgänge für Jugendliche«. 130 Wissenschaftler aus Deutschland, aber auch aus Großbritannien, den USA, Schweden, Australien, Israel und Nigeria nehmen daran teil.
»Schulen ans Netz« ist eine der Initiativen, die Jugendliche auf den kompetenten Umgang mit dem »worldwide web« vorbereiten sollen. »Jugend ans Netz« heißt ein anderer, vom Bundesfamilienministerium unterstützter Vorstoß, dessen Ziel ist, die Internet-Nutzung im informellen, außerschulischen Bereich zu fördern. Im Fokus der aktuellen Tagung stehen die Ungleichheiten und Benachteiligungen.
»Unsere Studien haben ergeben, dass unterschiedliche Schichten das Netz unterschiedlich nutzen«, erklärt Nadia Kutscher. Insofern halten die Wissenschaftler den Ansatz, Heranwachsenden einen angeleiteten Internet-Zugang - zum Beispiel in Jugendzentren, Treffs, Häusern der offenen Tür - zu ermöglichen, für sehr sinnvoll. Ebenso, ergänzt die Pädagogin, seien spezielle Jugendportale nützlich. »Es gibt schon hervorragende Seiten - aber sie sind vom Inhalt und der Form her auf die formal eher besser ausgebildeten Jugendlichen (mithin Gymnasiasten) ausgerichtet.«
Die Wissenskluft-Hypothese, Anfang der 70er Jahre von amerikanischen Wissenschaftlern formuliert und auf den Radio- und Fernsehkonsum bezogen, bewahrheite sich erneut: »Gebildete Schichten eignen sich die Massenmedien schneller und komplexer an und erhalten so einen Informationsvorsprung.« Nun gesteht auch Kutscher zu, dass nicht alles im Internet sinnvoll ist, dass es Gefahren gebe und völlig berechtigt eine Jugendschutzdebatte geführt werde. Und ebenso gesteht sie zu, dass junge Menschen das Internet oft anders nutzen, als es sich ihre Eltern wünschen - nämlich eher zum Chatten und weniger zu anspruchsvoller Recherche und dem Gewinn von Informationen. »Aber man muss fragen, welcher Bildungsbegriff zugrundeliegt.«
Allemal lernen die Jugendlichen das »Handling« eines Computers. Und wenn man den Bildungsbegriff ausweite und die Lebenswirklichkeit Heranwachsender einbeziehe, könnte man ihre Kommunikation im Netz auch als lehrreich bezeichnen - wenn sie sich zum Beispiel im Autoteile-Chat besorgen, was sie für die Basteleien an ihrem ersten Gefährt benötigen.
Dass die Zeit am Computer eine verschwendete Zeit sei, die ansonsten vielleicht lesend oder mit Freunden verbracht würde, lässt sie nicht gelten: »Interessanterweise geht die Zeit im Internet zu Lasten der Fernsehzeit.« Dass die Intensität vor dem Computer eine andere ist als vor dem Fernsehapparat, weil man interagieren muss und nicht nur rezipiert, sieht Kutscher auch. »Die Anspannung ist größer. Aber es passiert auch mehr, man muss mehr denken.«
Die Debatten über das Internet, schmunzelt sie, verdeutlichten die klassischen Ängste bei der Einführung neuer Medien. »Das sind dieselben wie bei der Einführung des Fernsehens, des Radios oder des Theaters.«
Dabei plädiert sie durchaus für einen kritischen, kompetenten, Umgang mit Computer und Internet - und daher für die Förderung benachteiligter Jugendlicher: »Nur so können wir sie zu einer reflektierten Nutzung erziehen.« So haben Studien ergeben, dass Hauptschüler im Zweifel eher an Informationen glauben, die von Internet und Fernsehen verbreitet werden, während Gymnasiasten den Wahrheitsgehalt der Tageszeitung höher einschätzten. »Sie haben einen kritischeren Blick auf das Medium, wissen mehr über Manipulationen und nutzen es kompetenter.«
Dahin sollten auch die anderen durch zielgruppenspezifische Angebote, die neugierig machen und den Horizont weiten, kommen. »Es geht nicht darum, dass jeder das Internet nutzen soll, sondern dass niemand ausgeschlossen und jeder befähigt wird zu einem kritischen Umgang« - wozu durchaus gehört, den Aus-Knopf zu drücken.

Artikel vom 10.02.2006