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Misstöne bei I Muvrini-Konzert

Korsisches Ensemble gastierte im Ringlokschuppen - Politische Sänger

Von Thomas Albertsen
Bielefeld (WB). Wer »I Muvrini« hört, denkt an Drehleier, Streicher, Dudelsack, Akkordeon und große Chöre. Wer das Bielefelder Konzert der fantastischen Korsen erlebte, hörte Piano, Cello und Gitarre, der Rest kam aus dem Computer. Welch eine enttäuschende Mogelpackung!

Der Abend hatte mit Misstönen begonnen, weil die Verlegung in den kleinen Saal ein Kuddelmuddel bei der Sitzplatzverteilung bedeutete. Da fanden sich jene, die teure Karten gekauft hatten, plötzlich in den hinteren Reihen wieder und protestierten. Und Wein aus Plastikbechern? Was beim Rock-Konzert aus Sicherheitsgründen völlig okay ist, wirkte beim feinen »I Muvrini«-Publikum stil- und würdelos. Auch dass die Besucher im Foyer um Unterschriften für einen in Frankreich inhaftierten Separatisten angegangen wurden, stieß auf Missbilligung.
Die Brüder Alain und Jean-Francois Bernardini auf der Bühne konnten bei ihrem Gastspiel im Ringlokschuppen einzig durch ihren fantastischen Gesang überzeugen. Ihre Paghellas, jene a-cappella vorgetragenen korsischen Polyphonien, die meist sakrale Inhalte transportieren und eine archaische Kraft und Schönheit ausstrahlen, boten sie vierstimmig dar. Wenn dann aber aus Liedern wie »Un rêve pour vivre« plötzlich seichter Mitklatschpop wurde, dann lag das an »Knöpfchendrücker« Achim Meier, dessen Keyboards auch spielten, wenn der Mann gar nicht auf der Bühne war. Zu seiner Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden: Spielte Meier Klavier, dann war er den Bernardini-Brüdern ein ausdrucksstarker, ebenbürtiger Begleiter.
Jean Francois Bernardini entschuldigte sich denn auch im anschließenden Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT: »Vielleicht war es doch nicht okay, das wir unsere historischen Instrumente zu Hause gelassen und nur mit einer Minimalbesetzung auf Tour gegangen sind.« Ja, das war wirklich Sparsamkeit am falschen Ort und auf Kosten der Musik, auch wenn das Ensemble das folkloristische Korsett gelockert hat, Vielfalt zeigt und die Klänge seiner geliebten Insel längst mit Elementen der Welt- und der Popmusik mischt.
Begrüßt hatte Bernardini die Bielefelder mit der Bemerkung, vielleicht verstünden nicht alle die Sprache, aber die Musik könne die Menschen im Herzen vereinen. Eine gute Idee war es zweifellos, das Publikum mit den deutschen Übersetzungen einiger Texte zu versorgen. Die Wildschafe, wie »I Muvrini« übersetzt heißt, haben sich längst die politischen Hörner abgestoßen, sind kritische Begleiter des in Europa verankerten Korsikas geworden. Philosophisch angehaucht und mit brillantem, leider mit viel zu viel Hall abgemischter Tenor-Stimme, treffen beide Brüder zielsicher und gefühlvoll Herz und Seele und schlagen das Publikum damit in ihren Bann. Korsika ist ein Stückchen Erde von verborgener Faszination und mit legendärem Lokalpatriotismus. Daher kann diese Insel nur Söhne und Töchter von stolzem Selbstbewusstsein hervorbringen, deren Überzeugungen von der gleichen Tiefe sind wie die gebirgigen Schluchten, die das Blau des Mittelmeers durchziehen. Alain und Jean-François sind allerdings weder Musiker mit staatlichem Auftrag noch unter einer bestimmten Vormundschaft stehende Propagandisten. Sie haben selbstverständlich ihre eigene Ansicht über die korsische Situation und sind davon überzeugt, dass man sehr wohl Sänger und gleichzeitig Staatsbürger sein kann.

Artikel vom 09.02.2006