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Vermutlich schon im Jahr 2008 wird die Volksrepublik China auf dem obersten Treppchen stehen.

Leitartikel
Export-Weltmeister

Nach dem
Spiel ist vor
dem Spiel


Bernhard Hertlein
We are the Champions. Wir sind Weltmeister. Und das auf einem der trotz Olympischer Winterspiele und Fußball-WM wichtigsten Felder, auf dem der Titel in diesem Jahr vergeben wird: der Exportwirtschaft.
Um es vorweg klar zu sagen: Weltmeister ist Deutschland nicht, weil hier besonders billig produziert würde. Auf diesem Feld werden wir wohl niemals mit Ländern wie China, Indien oder Vietnam konkurrieren können. Aber noch sind die Artikel »made in Germany«Ê dank ihres technologischen Vorsprungs offenbar den höheren Preis wert. Anderenfalls müsste man ja annehmen, dass die globalen Einkäufer Deutschland zu Liebe das Geld zum Fenster hinauswerfen.
Ein bisschen gemogelt wird bei den Export-Weltmeisterschaften allerdings trotzdem. Denn in vielem, was aus Deutschland heraus verkauft wird, ist in Wirklichkeit auch ein Stück Polen oder Slowakei oder China oder . . . Der Zuliefereranteil steigt bei den wichtigsten Produktgruppen schon seit Jahren. Das Ergebnis, ein Mix aus eigengefertigten und zugekauften Teilen, macht das Endprodukt bezahlbar und gehört deshalb zum deutschen Erfolgskonzept.
Die Wirtschaft verhält sich da nicht anders als der Fußball. Auch bei der WM 2006 wird es vorkommen, dass Spieler für ein anderes Land als das auflaufen, in dem sie geboren sind.
Für den deutschen Arbeitsmarkt hat diese Produktionsweise allerdings zur Folge, dass er nicht in der Weise entlastet wird, wie man es bei einem Weltmeister vermuten sollte. Den Gewerkschaften nahestehende Wirtschaftsexperten empfehlen deshalb eine Strategie der Arbeitsplatzbeschaffung durch Lohnerhöhung. Dass Deutschland bei dieser Vorgehensweise den WM-Titel nicht lange behalten würde, liegt auf der Hand.
Die Chancen, den Erfolg zu wiederholen, werden ohnehin von Jahr zu Jahr geringer. Vermutlich 2008, so die am weitesten verbreitete Prognose, wird die Volksrepublik China auf dem obersten Treppchen stehen. Angesichts der Dynamik, mit der die größte der asiatischen Volkswirtschaften von Jahr zu Jahr wächst, ist der Weltmeisterwechsel kaum noch aufzuhalten.
Schlimm für unser Land wäre allerdings, wenn es anschließend nach unten durchgereicht würde - wie jenes Bundesliga-Team, das sich zwei Jahre nach dem ersten Abstieg plötzlich in der Oberliga wiederfand.
Um dies zu verhindern, reicht es nicht, dass die Arbeitgeber am Lohn- und Gehaltssystem rütteln. Genau so wichtig ist eine Verbesserung der Nachwuchsarbeit. Die Pisa-Tabelle liefert den Beweis, dass hier manches im Argen liegt. Und auch das ist ein (Negativ-) Rekord: Noch nie seit dem Ende der Nachkriegszeit war der Anteil der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz in Deutschland so hoch wie jetzt.
Schön und gut: We are the Champions. Aber wie heißt es doch in der Fußballersprache: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es gibt viel zu tun.

Artikel vom 09.02.2006