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Porsche leistet »Erste Hilfe« in Herz-Klinik

Krankenhausabläufe optimiert - mehr Qualität bei kürzerer Verweildauer der Patienten

Von Wolfgang Schäffer
Freiburg/Stuttgart (WB). Was hat der medizinische Alltag in einem Krankenhaus mit den Produktionsabläufen in einem Autounternehmen gemeinsam? Nichts? Von wegen! Porsche Consulting hat gemeinsam mit einem Team der Unternehmensberater von McKinsey das Gegenteil bewiesen. In der Herzchirurgie der Freiburger Uniklinik konnten bei verbesserter Qualität für alle Beteiligten die Kosten gesenkt werden.

Fertigungstiefe, Standzeiten, Wertschöpfungskette - Begriffe, die seit Jahr und Tag aus der Industrie bekannt sind, wenn sich die Debatte um eine möglichst hohe Produktivität dreht. Doch den Herzspezialisten in Freiburg gehen solche Vokabeln inzwischen ebenso locker über die Lippen.
Begonnen hatte alles irgendwann im Jahr 2004. Auf einer privaten Feier hatten sich Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und Professor Friedhelm Beyersdorf (53), Ärztlicher Leiter der Herz- und Gefäßchirurgie in der Freiburger Uniklinik, über die Entwicklung des Gesundheitssystems und dabei speziell über die Sorgen in der Krankenhauslandschaft unterhalten. Vor allem die Einführung der Abrechnung nach Fallpauschalen bereitet finanziellen Kummer. So können die Kliniken nicht mehr wie früher nach Verweildauer und Tagessätzen abrechnen. Stattdessen werden eine Blinddarm-OP mit 1900, eine neue Hüfte mit 7700 oder ein Eingriff am Herzen mit 12 000 Euro honoriert. Klinikbetten, die einstmals Umsatz garantierten, sind inzwischen eher Kostenfaktor, beispielsweise wenn die Genesung länger dauert als geplant.
Im Gespräch mit Wiedeking beklagte der gebürtige Bochumer Beyersdorf dann auch die hohen Kosten, die sperrigen Abläufe und nicht zuletzt eine fehlende Transparenz während des Patientenaufenthalts in der Klinik. Dem 51-jährigen Westfalen Wiedeking waren Probleme dieser Art nicht fremd. Er hatte Anfang der 90er Jahre in just solch einer Situation Porsche als Chef übernommen. Damals drohte der Sportwagenschmiede das Aus. Vergangenheit. Mit Hilfe japanischer Fertigungsmethoden ist das Unternehmen in Stuttgart-Zuffenhausen seit geraumer Zeit der profitabelste Autobauer der Welt. Und jetzt sah Wiedeking durchaus Parallelen zwischen den Welten derer, die tagtäglich am Operationstisch arbeiten, um Leben zu retten und jenen, die alles daran setzen, den Fluss in den »verstopften Arterien eines wirtschaftlichen Kreislaufs« wieder in Gang zu setzen. Das Projekt »Schlanke Prozesse im Krankenhaus« war geboren. Ohne Honorar schickte Wiedeking ein Team der Porsche Consulting nach Freiburg. Bei den Spezialisten von McKinsey, mit dessen Deutschland-Chef Jürgen Kluge ist Wiedeking befreundet, stieß die Idee ebenso auf Begeisterung wie bei Professor Beyersdorf. 2004 wurden an seiner Klinik etwa 1700 Operationen durchgeführt, darunter mehr als 900 Eingriffe am Herzen.
Das Krankenhaus-Personal begegnete den externen Beratern anfangs mit einer gewissen Skepsis. Zu häufig hatten ähnliche Versuche schlechte Erfahrungen mit sich gebracht. Die Mediziner in Freiburg aber gewöhnten sich recht schnell daran, dass Bypass- oder Herzoperationen von den Beratern schlicht unter dem Begriff »Wertschöpfung« abgehandelt wurden. Die andere Zeit des Klinik-Aufenthalts eines Patienten fiel unter die Rubrik »Verschwendung«.
Dabei stand jedoch keineswegs die Genesungszeit der Patienten auf dem Prüfstand. Vielmehr sollten Wartezeiten von Ärzten, Pflegepersonal und Kranken gegen Null gefahren und die Auslastung der drei vorhandenen OP-Säle sowie des teuren medizinischen Geräts optimiert werden.
Ganz schnell erkannten die externen Fachleute zwei wesentliche Probleme: Es fehlte an einer standardisierten Struktur der Abläufe zwischen Medizinern und Pflegepersonal. Selbst die generell immer notwendigen Arbeitsschritte in der Klinik zur Vorbereitung einer Herzklappen- oder Bypass-Operation wurden ohne entsprechende Anweisung nicht ausgeführt. Das führte zu Verzögerungen, in einigen Fällen sogar zu Verschiebungen von Operationen. Weitaus komplizierter entpuppte sich die Regelung der Patienten-Annahme. Da die OP-Termine von mehreren Personen ausschließlich nach dem Belegungsplan der drei vorhandenen Säle vergeben wurden, konnte immer wieder nicht planmäßig operiert werden. Notfälle brachten den Ablauf ebenso durcheinander wie fehlende Betten auf der Intensivstation für frisch Operierte. Oder es stellte sich heraus, dass notwendige Voruntersuchungen außerhalb der Klinik nicht gemacht worden waren.
Die Gegenmaßnahmen: Mit Herzchirurg Georg Trummer wurde ein Patienten-Manager eingesetzt, der nun allein die Annahme der Kranken zu verantworten hat. Er kennt alle Belegungspläne, sorgt dafür, dass der jeweilige einweisende Arzt eine Checkliste über Zustand und bisherige Behandlung des Patienten ausfüllt. Seither musste kein in die Klinik bestellter Patient mehr aus organisatorischen Gründen wieder nach Hause geschickt werden.
Auf der anderen Seite erfolgte eine exakte Dokumentation über die Zeit des Klinikaufenthaltes. »Schon nach recht kurzer Zeit war es so möglich, Arbeitsschritte zu standardisieren«, erklärte Bernd Würsching, Projektleiter bei Porsche Consulting. Anhand einer Liste arbeitet das Pflegepersonal jetzt die OP-Vorbereitung eines Patienten ab, ehe die zu operierende Person samt der Dokumentation der Vorbereitung an den Mediziner übergeben wird.
Schließlich galt es noch, den Fokus auf den Teamwork-Gedanken zu schärfen. Was auch Würsching und seine Kollegen bis dato nicht wussten: Die Ärzte stehen in der Herz- und Gefäßchirurgie in einer »gesteuerten Konkurrenz-Situation«. Auf dem Weg zum Facharzt müssen die Mediziner bei 120 Operationen an der Herz-Lungen-Maschine mitgewirkt haben, ehe sie Herzchirurg sind. Jeder will also im OP möglichst der erste sein. Mit einem entsprechenden Trainings-Programm sowie der Vorstellung der erfolgreichen Teamarbeit bei Porsche sorgten die Berater für ein verständnisvolleres Miteinander unter den angehenden Herzchirurgen.
All diese Maßnahmen führten letztlich dazu, die Verweildauer von Patienten in der Freiburger Klinik von bisher durchschnittlich 11,4 auf 9,6 Tage zu reduzieren. Unnötige Wartezeiten konnten um zehn Prozent zurückgefahren, die Produktivität um 30 Prozent gesteigert werden.
Professor Friedhelm Beyersdorf freut sich zwar über die positiven Ergebnisse, hat aber auch erkannt, dass »noch viel zu tun ist«. Mit dem Patienten-Management sei der gesamte Patienten-Durchlauf transparenter, die Planung damit einfacher und termintreuer geworden. »Ohne Porsche Consulting hätten diese Lösungen nie stattgefunden. Wir sind halt die Fachleute für die Medizin und keine Experten für Organisationsmanagement.« Auch deshalb gelte es zu akzeptieren, dass die Lösungsvorschläge von externen fachfremden Experten kommen können. Generell allerdings müsse die grundsätzliche Bereitschaft vorhanden sein, etwas verändern zu wollen.
Der ärztliche Leiter der Klinik ist davon überzeugt, die in gerade einmal drei Monaten intensiver Arbeit erzielten Verbesserungen ließen sich auch auf andere Abteilungen und komplette Krankenhäuser übertragen. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: »Alle Verbesserungen und Einsparungen wurden bisher erreicht, ohne die Grundstruktur des Krankenhauses in Frage zu stellen. Das aber muss ja nicht so bleiben.«
Der Mediziner untermauert diese Einschätzung mit Zahlen. »Allein die deutschen Uni-Kliniken müssen bis 2008 noch einmal zweistellige Millionenbeträge einsparen. Das ist eine große Herausforderung. Daneben wird sich die Altersstruktur weiter verändern. 50 Prozent der Mädchen, die heute zur Welt kommen, werden 100, jeder zweite Junge 94 Jahre alt. Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Kliniken werden in Zukunft schneller reagieren müssen. Daran werden sie gemessen.«
Porsche-Chef Wiedeking war nach Abschluss des Projekts persönlich in Freiburg, um sich über die erfolgreiche Arbeit der Einsatztruppe zu informieren. Im Gespräch mit dieser Zeitung verrät er, dass bereits eine Reihe weiterer Kliniken Beratungs-Interesse bekundet haben: »Die Nachfrage ist sehr groß. Krankenhäuser aus dem gesamten Bundesgebiet haben sich bei uns nach dem ÝFreiburger-ModellÜ erkundigt und wollen ebenfalls beraten werden.«

Artikel vom 15.02.2006