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Zorniger Blick auf die Welt

Mankells neuer Roman schon auf der Bestsellerliste


Von Ralf E. Krüger
Hamburg (dpa). Seit gut einem halben Jahr ist Henning Mankells jüngster Roman »Kennedys Hirn« auf der Bestsellerliste in seiner schwedischen Heimat. Jetzt gibt es ihn auch auf Deutsch - und auch hier ist auf Anhieb auf Platz 6 der »Spiegel«-Bestsellerliste gesprungen. Es ist ein Roman, den Mankell im Angesicht einer humanitären Katastrophe nach eigenem Eingeständnis »im Zorn« geschrieben hat. Schwedens meistgelesener Autor, dessen Bücher bereits in 36 Sprachen übersetzt in mehr als 100 Ländern erscheinen, wählte ein Thema, das ihn seit langem aufwühlt: Aids, Armut, Afrika.
Seine Erzählung über die 54-jährige Archäologin Louise Cantor, die einer gigantischen Lüge nachspürt, ist Fiktion. Doch der Autor überlässt es dem Leser, die Grenzen zur Wirklichkeit selbst zu ziehen. Eine Herausforderung, die ebenso verunsichert wie das offene Ende des Romans. Inspiration fand er vor Ort. Seine Protagonistin bewegt sich auf den Spuren des toten Sohnes in den Welten des Autors: Europa und Afrika, Schweden und Mosambik, wo Mankell selbst die Hälfte des Jahres lebt und Maputos Theater »Teatro Avenida« leitet. Auf einer Reise in die schwedische Heimat findet Louise ihren einzigen Sohn Henrik tot in seinem Bett vor. Obwohl alles auf einen Selbstmord deutet, glaubt Louise nicht daran. In Henriks Wohnung findet sie Dokumente zu der Frage, warum das Hirn des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy nach der Obduktion verschwunden ist.
Die kühle Archäologin, die aus der Suche nach Spuren der Vergangenheit Beruf und Lebenswerk gemacht hat, vermutet dunkle Hintergründe. Mit ihrem Ex-Mann Aron rekonstruiert sie Henriks letzte Tage. Über Spanien führt die Spur nach Mosambik - in ein Asyl für Aids-Kranke, das ein angeblich selbstloser reicher Amerikaner leitet. Schon bald wird ihr klar, dass Henrik einem humanitären Skandal nachspürte, der auch für sie lebensbedrohlich wird. Vor dem Hintergrund der grassierenden Aids-Epidemie geht es um infiziertes Blut und menschenverachtende Impfstoff-Tests in geheimen Labors, aber auch um Doppelexistenzen, zynische Diplomaten, Drogenschmuggel und menschliche Abgründe.
Seine Empörung über die Ohnmacht der Weltgemeinschaft gegenüber Afrikas Elend legt Mankell einem Professor in den Mund: »Zu keinem Zeitpunkt haben wir so große Ressourcen gehabt, um für immer mehr Menschen eine erträgliche Welt zu schaffen. Statt dessen beleidigen wir unser ganzes Bewußtsein, unsere intellektuelle Kraft, unsere materiellen Möglichkeiten, indem wir zulassen, dass das Elend noch zunimmt.«
Henning Mankell: Kennedys Hirn Paul Zsolnay Verlag, Wien 399 S., Euro 24,90 ISBN 3-552-05347-6

Artikel vom 08.02.2006