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Schüsse auf katholischen Priester

Türkei: 16-Jähriger gesteht Bluttat und nennt Karikaturenstreit als Motiv

Von Reinhard Brockmann
Ankara (WB). Kurz nach dem Sonntagsgottesdienst hatte es geklingelt, drei Schüsse fielen, zwei töteten den katholischen Priester Andrea Santoro. Gestern gestand ein 16-Jähriger die Tat. Begründung: »die Karikaturen«.

Soviel ist klar: Bereits am Samstag hatte Santoro Probleme mit fünf Jugendlichen in seiner kleinen Kirche in Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste.
Sie störten in der Kirche, sprachen laut und provokativ miteinander. Vater Santoro (60) bat um Ruhe, worauf es noch lauter wurde. Als sie schließlich gingen, soll nach Angaben von Nachbarn bereits ein Schuss gefallen sein.
Am Sonntag öffnete ein Gemeindehelfer, denn Kirche und Innenhof sind normalerweise geschlossen. Der Täter trat ein und schoss den noch kniend im Gebet versunkenen Geistlichen nieder. Ein Kirchendiener sagte aus, der Täter habe »Allah ist groß« gerufen.
Die Überwachungskamera eines Schmuckgeschäftes auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeigt einen flüchtenden jungen Mann. Zwei Augenzeugen sprechen danach von zwei Tätern. Nach Behördenangaben war der Priester bereits vorher bedroht worden, weil er angeblich »missionierte«, was in dem an sich streng laizistischen Land de facto verboten ist.
Trotz des gestrigen Geständnisses eines 16-Jährigen mit Verweis auf den Karikaturen-Streit bleiben nach Einschätzung der Polizei drei Mordmotive aktuell: Der Priester half Prostituierten, könnte im Visier der Unterwelt gewesen sein. Auch der Missionierungsvorwurf wiegt schwer. Außerdem könnte die Karikaturen-Hetze als Ergänzung zu den ersten beiden Motivlagen gelten.
Bei seiner Festnahme soll der Jugendliche eine Pistole bei sich getragen haben. Die türkische Regierung war noch am Montag Spekulationen entgegengetreten, die tödlichen Schüsse auf den Christen stünden im Zusammenhang mit dem Streit um die Mohammed-Abbildungen.
Der türkische Außenminister Abdullah Gül hat die Tat verurteilt. In der Türkei hatte es friedliche Straßenproteste gegen die Karikaturen gegeben. Der größte Teil der Bevölkerung des Landes ist moslemischen Glaubens. 60 000 der 72 Millionen Menschen in der Türkei sind Christen.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi forderte die Türkei auf, gegen Fanatiker hart vorzugehen. Die Situation sei aus seiner Sicht sehr beunruhigend, sagte Berlusconi gestern einem Radiosender. Der Mord dürfe aber auf keinen Fall die Bewerbung der Türkei um eine Mitgliedschaft in der EU beeinträchtigen.

Artikel vom 08.02.2006