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Charme eines Klassikers
75 Jahre alte Segelyacht »Sea Cloud« wird einer Lipperin zur zweiten Heimat
Kirsty hat sich mit dem Karabinerhaken in die Handreling eingeklinkt und den Mast geentert. 25 Meter über den Pechfichtenplanken schwankt die »Sea Cloud« weitaus vernehmlicher, als die 60 Passagiere auf dem Lido-Deck dies spüren, trotzdem löst die junge Frau sicheren Griffs die Zeisinge.
Es ist kurz nach 9 Uhr morgens, steuerbord voraus befindet sich die niederländische Karibikinsel Sint Maarten. Nordost-Passatwind der Stärke 5 lässt Schaumkronen auf den Wellen tanzen, daher befiehlt der Käpt'n: »Sturmsegel setzen!« Der erste Offizier Achim Schröter, der den Gästen die Besegelung und das Manöver erklärt, schmunzelt: »Sonst fliegt dem Smutje in der Kombüse der Fisch aus der Pfanne.« Die 109 Meter lange Bark mit den bis zu 54 Meter hohen Masten könnte mit ihren 30 Segeln etwa 3000 Quadratmeter Tuch an den Wind bringen. Doch auch die Sturmsegel reichen aus, um den stolzen Segler merklich nach backbord krängen zu lassen und gleichzeitig zu stabiliseren. Denn anders als ein modernes Kreuzfahrtschiff hat die »Sea Cloud« keine Stabilisatoren, die mittschiffs unter Wasser das Rollen und Stampfen vermindern.
Dieses Jahr feiert die »Sea Cloud« Jubiläum: Seit 75 Jahren kreuzt der stolze Segler über die Weltmeere. Erste Eigner waren Marjorie und Edward F. Hutton. Der erfolgreiche Börsenmakler und die Erbin eines Cornflakes-Imperiums zahlten der Germania-Werft damals 900 000 Dollar für die Erfüllung eines Traumes, die damals größte Privatyacht der Welt. Nur das Teuerste war gut genug: edle Holzschnitzereien, stuckverzierte Decken, vergoldete Wasserhähne, Kamine aus Carrara-Marmor, venezianische Spiegel und echte Antiquitäten. Nach der Scheidung vom ersten Ehemann ehelichte Marjorie den Rechtsanwalt Joseph E. Davis, der als Botschafter der USA die in Leningrad an der Pier liegende »Seewolke« zur schwimmenden Botschaft mit rauschenden Festen machte.
Im Zweiten Weltkrieg stellte die Patriotin Marjorie ihr geliebtes Schiff der US-Marine zur Verfügung, die es ohne Masten und Segel als schwimmende Wetterstation mit 200 Matrosen und acht Kanonen im Atlantik einsetzte. Hitlers Truppen hätten das Schiff leicht versenken können, niemand hätte Rücksicht auf die deutsche Herkunft der »Sea Cloud« genommen. Aber die deutsche Marine hörte die Funksprüche der Amerikaner ab und profitierte von deren Wetterberichten. Allerdings bekam man es nicht mit, dass es eben der Wetterbericht von Bord der »Sea Cloud« war, von dem der entscheidende Impuls zum D-Day ausging, der alliierten Invasion gegen Nazi-Deutschland in der Normandie.
Nach Kriegsende verwandelte viel Geld das Kriegsschiff wieder in ein schwimmendes Gästehaus, in dem die Eigner alles was Rang und Namen hatte, zu rauschenden Festen begrüßten. Geldadel wie die Vanderbilts und Astors, Monarchen wie der König von Schweden und die Königin von Norwegen staunten über die Pracht und den Luxus an Bord.
In den 50er Jahren verkaufte die exzentrische Multimillionärin die »Sea Cloud« an den dominikanischen Diktator Trujillo, der sie in »Angelita« umtaufte und seinem Sohn als schwimmende Junggesellenbude vor der Küste Kaliforniens überließ. Nach der Ermordung Trujillos und dem Ende seiner Diktatur rostete die Bark jahrelang in Panama vor sich hin. Achim Schröter, seinerzeit Kapitän auf einem Fachtschiff, sah den traurigen Kahn, wusste, dass er bessere Zeiten erlebt hatte, war sich aber der Bedeutung des Wracks nicht bewusst. Das blieb 1978 dem Hamburger Kapitän Hartmut Paschburg vorbehalten, der die »Sea Cloud« nach Deutschland zurückbrachte, wo sie in ihrer Bauwerft in Kiel komplett restauriert und zum luxuriösen Segel-Kreuzfahrtschiff für etwa 60 Passagiere umgerüstet wurde. Als Konzession an ökonomische Notwendigkeiten wurden zwei große Container aufs Deck gebaut, in denen ein Restaurant und weitere Kabinen Platz fanden. »Sonst würde sich der Betrieb niemals rentieren«, sagt Zahlmeisterin Konstanze Ludwig. Die gebürtige Dresdnerin ist ihren Eltern noch heute dankbar, dass sie unmittelbar nach der Wende 'rübermachten Ê- zu Verwandten ins Lipperland. »Sie haben es nur wegen uns Kindern gemacht, damit wir bessere Bildungschancen bekommen«, sagt die hübsche junge Frau - und nutzte die Möglichkeiten optimal. Nach dem Abi am Wirtschaftsgymnasium in Lemgo begann sie eine Lehre im Detmolder Best-Western-Hotel. Ihr weitere Berufserfahrung in diversen ausländischen Hotels und an Bord des Flusskreuzfahrtschiffes »River Cloud« ergänzte sie durch ein Touristikstudium in Halberstadt und ist auf der »Sea Cloud« für die Finanzen zuständig.
Exzellente Speisen, edle Weine, opulente Kabinen - all das kann man bezahlen. Für kein Geld der Welt aber lassen sich Ambiente und Geschichte kaufen.
Noch heute geht es an Bord zu wie auf einer Privatyacht, es gibt weder Rezeption noch Info-Schalter. Damit der legendäre Luxussegler auch in Zukunft die internationalen Vorschriften erfüllt und technisch auf dem neuesten Stand ist, wurde er im Jahre 2001/2002 in Rijeka einer gründlichen Renovierung unterzogen. Nach Abschluss der Wintersaison in der Karibik wird die »Sea Cloud« zu ihrer offiziellen Jubiläumskreuzfahrt von Nizza nach Neapel ins Mittelmeer überführt und verbringt den Geburtstags-Sommer in Südeuropa.
Nur in die USA, der das Schiff einst treu zu Diensten war, darf die »Sea Cloud« nicht mehr fahren. Das viele Holz an Bord gilt heute als Sicherheitsrisiko. Das ist den Amerikanern aber herzlich egal. Kommt die »Sea Cloud« nicht zu ihnen, kommen sie zu »ihrem« Windjammer - und sind nach den Deutschen die größte Passagiergruppe an Bord.Thomas Albertsen
www.seacloud.de

Artikel vom 11.02.2006