09.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Muslimische Verbände erteilen
der Gewalt eine klare Absage

Tote bei Ausschreitungen in Afghanistan - Botschaften angegriffen

Köln/Kabul/Hebron (dpa/Reuters). Spitzenvertreter der türkischstämmigen und muslimischen Bevölkerung in Deutschland haben einen friedlichen Protest gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen angemahnt. Jeglicher Gewalt erteilten sie eine klare Absage.
»Wir haben zu Besonnenheit und Augenmaß aufgerufen«, sagte Oguz Ücüncü, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs stellvertretend für weitere 15 Spitzenverbände der türkischstämmigen und muslimischen Gesellschaft in Deutschland.
Ungeachtet aller Aufrufe zur Zurückhaltung haben sich die massiven islamischen Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen gestern erneut in Gewalt entladen. Bei Ausschreitungen in der südafghanischen Stadt Kalat starben nach unterschiedlichen Angaben bis zu vier Demonstranten. Randalierer unter den mehr als 300 Demonstranten versuchten, die örtliche Polizeizentrale zu stürmen. Daraufhin eröffnete die Polizei das Feuer. Die Zahl der Toten in Afghanistan erhöhte sich damit auf mindestens neun.
Im Westjordanland griffen hunderte Palästinenser das Hauptquartier der internationalen Beobachtertruppe in Hebron (TIPH) mit Steinen an. Scheiben gingen zu Bruch. Die Angreifer zerstörten auch mehrere Autos. Nach Zusammenstößen drängte Polizei die Randalierer ab. Wie ein norwegischer Sprecher mitteilte, wurden alle 71 TIPH-Beobachter, von denen 21 aus Norwegen kommen, abgezogen und nach Tel Aviv gebracht.
Auch in der iranischen Hauptstadt Teheran gab es erneut Ausschreitungen. Demonstranten zogen vor die britische Botschaft und warfen Steine. In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo protestierten mehr als 200 Muslime vor den Vertretungen Norwegens, Dänemarks und Frankreichs und verbrannten Nationalflaggen der Länder.
Im Jemen wurde zwei Wochenzeitungen die Lizenz entzogen, die die zunächst in der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten« erschienenen Zeichnungen nachgedruckt hatten.
Das Pariser Satireblatt »Charlie Hebdo« druckte unterdessen die dänischen Karikaturen nach und reicherte sie mit zahlreichen eigenen Beiträgen an. Der französische Präsident Jacques Chirac kritisierte die Redaktion scharf.
Das Bundeskabinett verständigte sich nach Angaben von Vize-Regierungssprecher Thomas Steg darauf, die Kontakte in die arabische Welt weiter mit dem Ziel der Deeskalation zu nutzen. Maßnahmen Deutschlands »gleich welcher Art« seien nicht angemessen, sagte Steg auf die Frage nach möglichen Wirtschaftssanktionen. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will den Dialog mit den Muslimen ausbauen.
Heftige Kritik wurde in Deutschland am in Iran geplanten »Internationalen Karikaturen-Wettbewerb zum Holocaust« laut. Die muslimischen Spitzenverbände kritisierten den Karikaturen-Wettstreit bei ihrem Kölner Treffen als »makaber«. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat den Aufruf zu diesem Karikaturen-Wettbewerb scharf verurteilt. »Auf diese Weise den Holocaust zu ignorieren und das Andenken der Betroffenen zu verunglimpfen, ist nicht nur geschmacklos, sondern eine Provokation«.
Unterdessen begann eine Debatte um die Sicherheit der Fußball-Weltmeisterschaft. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) will scharfe Einreise-Kontrollen für muslimische Fans bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Beckstein warnte vor einer »erhöhten Gefährdungslage«. Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sagte, man müsse das WM-Sicherheitskonzept überarbeiten und Spiele unter Beteiligung Irans oder der USA besonders beachten.

Artikel vom 09.02.2006