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Gefährliches Dauerzocken

Untersuchung beweist: Computerspiele können süchtig machen

Von Ines Rosenbaum
Bielefeld (WB). »28-Jähriger tot nach Computerspiel«: Diese Nachricht aus Korea verbreitete die Deutsche Presseagentur im August vergangenen Jahres. Nach offiziellen Angaben der koreanischen Polizei habe sich der Mann innerhalb weniger Tage »totgespielt«. Sein Herz versagte vor Erschöpfung. Er war süchtig nach Computerspielen. 50 Stunden am Stück kämpfte er am Bildschirm in einem virtuellen Kriegsspiel.

Bei solchen Nachrichten kann einem die Lust auf den PC oder an die Playstation glatt vergehen. Laut Ralf Thalemann, Wissenschaftler an der Berliner Charité und Leiter einer Studie zum Thema Computerspielsucht, kann das Verlangen nach Computerspielen durchaus krankhafte Züge annehmen. Seine interdisziplinäre Forschungsgruppe hat im Rahmen einer Studie, an der sich 7000 regelmäßige Computerspieler beteiligten, im Dezember 2005 dann auch interessante Entdeckungen gemacht. Von den Befragten haben zwölf Prozent mindestens drei der vorgeschriebenen Suchtkriterien erfüllt und fallen somit unter die Kategorie »computerspielsüchtig«. Dieses Verlangen nach der Konsole oder dem PC sei mit einer Alkohol- oder Cannabis-Abhängigkeit vergleichbar, berichtet Thalemann. Dieselben Gehirnstrukturen seien betroffen.
Krankhafte Dauerspieler haben ein unstillbares Verlangen nach dem Geschehen auf dem Bildschirm. Spielen wird für sie häufig zum einzigen Lebensinhalt. Sinn oder Unsinn dieses Zeitvertreibs wird nicht mehr hinterfragt. Fällt die Konsole oder der PC einmal aus, stellen sich bei den Dauerspielern sogar Entzugssymptome ein. Andere Hobbys werden vernachlässigt, die Spieler verlieren zunehmend die Kontrolle über Dauer und Häufigkeit ihrer Einsätze am Bildschirm - trotz der schädlichen Folgen.
Wie Ralf Thalemann weiter berichtet, reagieren süchtige Kinder und Jugendliche häufig gereizt und aggressiv, sobald Eltern den Umgang mit dem Computer verbieten oder einschränken. Schule wird zur Nebensache, Hausaufgaben werden nicht mehr erledigt. In den meisten Fällen wird eine Sucht dem eigentlich Betroffenen gar nicht bewusst, er möchte nichts ändern, sondern ist zufrieden mit seiner Situation.
Computerspielen - eigentlich ein harmloser Zeitvertreib, der für Ablenkung im Schulalltag sorgen soll. Deshalb sei es wichtig, im eigenen Umfeld, also bei Freunden und Mitschülern, die Augen offen zu halten. Sieht man sich seltener? Gibt es irgendwelche Veränderungen im Verhalten?
Natürlich sollte nicht jeder sofort als Spielsüchtiger verurteilt werden, sobald er längere Zeit vor einem Computerspiel sitzt, warnt auch Thalemann. Freunde und die Familie sollten im Zweifelsfall versuchen, den Dauerzocker zu einem anderen Zeitvertreib zu überreden. Es soll beispielsweise wieder Begeisterung für körperlich aktives Spielen oder Sport geweckt werden, »den Hintern mal wieder hoch kriegen«, wie Thalemann es ausdrückt.
Für Beratungen zu diesem Thema hat die Berliner Charité eine Art Telefonseelsorge eingerichtet, bei der sich Betroffene oder Angehörige genauer informieren und auch Hilfe anfordern können.
Unter der Telefonnummer 030/4 50 52 95 25 gibt es mittwochs und freitags von 16 bis 17 Uhr eine telefonische Beratung.

Artikel vom 10.02.2006