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»Sterben ist kein schöner Tod«

Thomas Reis philosophiert in Realschule Brackwede über Leben über 40

Von Malte Samtenschnieder
(Text und Foto)
Brackwede (WB). Welch eine Kondition hat dieser Mann! - Ein zweieinhalbstündiges verbales Säbelrasseln zelebrierte Thomas Reis am Samstag auf Einladung des Bielefelder Jugendkulturrings in der vollbesetzten Aula der Realschule Brackwede. Nicht nur der Frage »Gibt's ein Leben über 40?« ging der Kabarettist dabei scharfzüngig-humorvoll auf den Grund.

Mit intelligentem linguistischem Feinsinn führte Thomas Reis seinem Publikum den gesellschaftlichen Statusquo aus Sicht eines Über-Vierzigjährigen vor Augen. Im braunen Cordanzug, die linke Hand meist lässig in der Hosentasche während die rechte hektisch gestikulierend das Gesagte unterstrich, trotte er auf der Bühne hin und her. Requisite oder Kulisse brauchte er nicht. Dadurch rückte allein das gesprochene Wort in den Mittelpunkt. Doch war es eigentlich zweitrangig, worüber Thomas Reis im Verlauf des Abends philosophierte. Weitaus faszinierender war es, mitzuerleben, wie er die Botschaften transportierte.
Immer wieder schlich sich dabei ein wissendes Lächeln auf die Lippen vieler Zuhörer, erkannten sie doch für sich: »Endlich bringt einer auf den Punkt, was ich auch immer schon dachte.« Selbstironisch nahm Thomas Reis auch sich selbst auf die Schippe. Der Einsicht »Sterben ist kein schöner Tod« ließ er Weisheiten wie »Wer immer im Kreis läuft, kommt ständig an sich vorbei« und »Der Strom der Zeit ist der Bach den wir alle herunter gehen« folgen. Auch bewies er, dass er den Bezug zur Jugend im Alter von 42 Jahren noch nicht verloren hat. Strinrunzelnd fragte er im Hinblick auf Piercing: »Für welchen Ordner lochen die sich eigentlich.«
Kein von Schenkelklopfen begleitetes lautes Lachen dafür jedoch intensiv arbeitende Gehirnzellen bescherte Thomas Reis den Besuchern mit der Frage: »Wenn der Weg das Ziel ist, was ist dann der Rückweg.« Zum Grübeln brachte der Kabarettist die Gäste zudem mit Anmerkungen zum Schicksal schwer vermittelbarer Langzeitbeziehungsloser, denen es aber häufig besser gehe als scheinbar glücklich Verheirateten. Nach 20 Jahren Ehe oder mehr stelle sich nämlich oft die Frage: »Habe ich meinen Partner wirklich selbst geheiratet.« Dafür dass in vielen Fällen kein Schlussstrich gezogen wird , wenn die Liebe abhanden kommt, hat Thomas Reis ebenfalls eine Begründung: »Viele scheuen es, überhaupt miteinander zu reden.«
Auch mit spitzen Pointen auf Kosten des vermeintlich schwachen Geschlechts geizte der Künstler nicht. »Was nützt Frauen im Auto ein elektronisches Navigationsgerät, wenn sie eh nur mit ihm über den richtigen Weg diskutieren.« Angst vor Gesprächen beim Friseur machte Thomas Reis hingegen für die eigene ungestüme Haartolle verantwortlich, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel, während er mit vollem schweißtreibendem Körpereinsatz vom Leder ließ. Auch seine Skepsis gegenüber Bankern brachte er offen zum Ausdruck. »Wenn ich mit meinem Anlageberater spreche, weil ich an mein Geld möchte, komme ich mir vor wie ein Dieb.« Doch im Dialog mit seinem Kundenbetreuer habe er vieles gelernt. So stehe für ihn »Festgeld« nun im Widerspruch zur Tatsache »flüssig« zu sein.
Obwohl, oder gerade weil, sich sein Programm nicht nur - wie durch den Titel »Gibt's ein Leben über 40« nahegelegt - mit dem Älterwerden beschäftigte, hallten viele von Thomas Reis' Pointen über den Kabarettabend hinaus in den Gedanken der Besucher nach. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hatte der Kabarettist seinen Zuhörern unterhaltsam verschiedene Facetten des alltäglichen Wahnsinns vor Augen geführt. Konditionell ging er bei seinem mehr als zweieinhalbstündigen Programm an die Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit. Anders die Besucher. Für sie verflog der Abend mit Thomas Reis wie im Flug, so dass sie sich am Ende des Programms sogar noch eine Zugabe erklatschten. Eine Bitte, der der Künstler gerne nachkam.

Artikel vom 06.02.2006