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»Noch haben wir keinen
Kampf der Kulturen«

Köhler, Merkel und Steinmeier verurteilen Gewaltaufrufe

Berlin (dpa). Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) haben die Gewaltaufrufe von Muslimen wegen der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen scharf verurteilt.
Izmir (Türkei): Protest gegen die Karikaturen, Protest gegen Europa.Auch in Europa, wie hier in London, gab es muslimische Proteste.
Die Kanzlerin sagte in München, sie könne zwar durchaus verstehen, dass die Bilder die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt haben. Es sei jedoch »inakzeptabel auf dieser Grundlage eine Legitimierung von Gewalt zu sehen.«
Köhler sagte bei einem Treffen mit den Präsidenten sieben europäischer Länder in Dresden: »Gewalt und Drohungen sind unter keinen Umständen zu akzeptieren.« Dem Protest schlossen sich die Präsidenten Finnlands, Italiens, Lettlands, Österreichs, Portugals und Ungarns an. Die Meinungsfreiheit sei unverzichtbarer Bestandteil europäischer Demokratie, sagte Köhler. »Aber zur Freiheit gehört auch Verantwortung und Respekt vor den Anderen und deren religiösen Gefühlen.«
Wie Merkel warnte Steinmeier vor einer Eskalation des Streits. »Noch haben wir keinen Kampf der Kulturen. Aber wir sind vom angestrebten Dialog weiter entfernt als gewünscht.« Er sei »dankbar, dass verantwortungsvolle Stimmen in der moslemischen Welt erklärt haben, dass sie der durchsichtigen Instrumentalisierung des Konflikts durch Islamisten widersprechen«. Alle Kräfte der Vernunft müssen den falschen Propheten des Kulturkampfes entgegentreten.«
Die Kanzlerin sieht in dem Konflikt weiterhin keine Notwendigkeit einer offiziellen Einlassung der Bundesregierung. Pressefreiheit sei eines der hohen Güter der Demokratie. Zwar sei auch die Religionsfreiheit unverzichtbar, doch Gewalt sei in keinem Fall der richtige Weg.
Die USA haben die gewaltsamen Übergriffe auf die Botschaften Dänemarks und Norwegens in Syrien auf das Schärfste verurteilt. Es gebe keine Entschuldigung dafür, dass die syrische Regierung trotz aller Warnungen vor Gewalt den Schutz der diplomatischen Vertretungen nicht gewährleistet habe, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan.
Der Vatikan verurteilte die umstrittenen Mohammed-Karikaturen scharf. »Das Recht auf Gedanken- und Ausdrucksfreiheit, das in der Erklärung der Menschenrechte verankert ist, darf nicht das Recht beinhalten, die religiösen Gefühle Gläubiger zu beleidigen.«
Die Empörung über die Mohammed-Karikaturen könnte nach Einschätzung von Sicherheitsexperten Islamisten-Gruppen wie El-Kaida einen Vorwand für neue Gewalt liefern. Der Streit spiele den Extremisten in die Hände, sagte Claude Moniquet, Leiter des Brüsseler European Strategic Intelligence Center.
Zum einen bestehe die Gefahr, dass die gewaltsamen Proteste gegen westliche Einrichtungen in moslemischen Ländern weitergingen. Das größere Risiko sei aber, dass El-Kaida oder eine andere Terror-Organisation diesen Streit zum Anlass nehme, Geiseln im Irak zu töten oder größere Anschläge zu verüben. »Das ist nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich«, sagte Moniquet.

Artikel vom 06.02.2006