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Kein Neubau ohne Streit

Sparzwang bei Privatleuten und Firmen lässt Mängelliste wachsen

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Neue Häuser sorgen immer häufiger für Streit zwischen Bauherren und Bauträgern. »Die Schäden haben zugenommen«, sagte der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Mängel und Schäden in und an Gebäuden, Hubert Baumeister, gestern dieser Zeitung.

»Es wird nicht ausreichend geplant«, kritisierte der Experte der Ingenieurkammer-Bau NRW mit Büros in Bielefeld und Lügde (Kreis Lippe). Bauherren verzichteten auf Architekten, die die Handwerker beaufsichtigen, und Bauträger schöben ihrerseits die Verantwortung für die Planung auf die Handwerker ab. An den Schnittstellen wie Fußboden oder Heizung, wo sich verschiedene Gewerke treffen und eine vorausschauende Planung besonders wichtig wäre, würden dann Fehler gemacht. Baumeister erstellte im vergangenen Jahr 65 Gerichtsgutachten, im Jahr zuvor waren es nur 35. Als häufigsten Mangel nannte er Feuchtigkeit im Keller, die Schimmelpilz begünstigt.
»Die Zahl der Klagen von Bauherren ist erheblich gestiegen«, sagte Bernd Heitmann von der Unita Dienstleistungsgruppe in Essen. Bei ihr sind Architekten versichert. Heitmann zufolge gibt es keinen Neubau ohne Streit: »Von zehn Bauvorhaben gehen zwei ins Klageverfahren, und bei den anderen acht beharken sich die Beteiligten außergerichtlich.«
Fairness am Bau gebe es nicht mehr. Die Schuld daran trügen sowohl allzu sparsame Häuslebauer als auch die Billiganbieter unter den Bauträgern. Heitkamp sagte dieser Zeitung: »Heute werden Bauten spitz auf Knopf gerechnet. Sie sollen extrem billig und absolut mängelfrei sein und außerdem schnell errichtet werden.« Bauträger stünden unter enormem Kostendruck und böten erstmal nur die Grundausstattung an - wohlwissend, dass der Bauherr während der Ausführung zusätzliche Wünsche äußere, die dann richtig Geld kosten. »Erst ab dem ersten Nachtrag beginnt die Baufirma zu verdienen«, erklärte Heitkamp.
Angesichts der Vielzahl der Schäden empfiehlt die Verbraucherzentrale NRW, bei größeren Mängeln einen Juristen einzuschalten. Damit es erst gar nicht so weit kommt, mahnt der »Verband Unabhängig Beratender Ingenieure und Consultants« (VUBIC) mit 350 Niederlassungen in Deutschland das »Vier-Augen-Prinzip« an.
Vorstandsvorsitzender Friedrich Steiger (53) aus Frankfurt: »Derjenige, der ausführt, muss überwacht werden - durch einen Architekten oder einen Ingenieur.« Die Kosten von etwa 70 Euro pro Stunde kämen dem Bauherrn in Form besserer Qualität zugute. Privatleute und Kommunen sparten mehr als gut ist: »Schulen, die Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, stehen noch. Schulen, die in den 1970er Jahren entstanden, sind oft Sanierungsfälle. So wie diese Pappschachteln wird alles dünner gebaut.«
Unter dem Kosten- und Zeitdruck leidet die Architektur. Viele Ein-Familien-Häuser sähen nahezu identisch aus, kritisierte der Sprecher der Architektenkammer NRW, Christof Rose. Zwischen Rhein und Weser sind knapp 9000 Architekturbüros tätig. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland nach Angaben der LBS 261 000 Häuser und Wohnungen gebaut.

Artikel vom 07.02.2006