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Reinhart Koselleck untersuchte und prägte die Begrifflichkeit der historischen Wissenschaft.

Ein Botschafter der Universität

Bielefelder Historiker Reinhart Koselleck mit 82 Jahren verstorben

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Die Universität Bielefeld trauert um Reinhart Koselleck. Der international renommierte Geschichtswissenschaftler verstarb am Freitag im Alter von 82 Jahren.

Der aus Görlitz stammende Historiker promovierte 1954 mit der Arbeit »Kritik und Krise«, einer Studie zum Verfall der bürgerlichen Welt. Seine Habilitationsschrift über »Preußen zwischen Reform und Revolution« ist ein Standardwerk geblieben.
Reinhart Koselleck, geachtet für seine scharfsinnigen Arbeiten zur Begrifflichkeit der eigenen Zunft, zu Wahrnehmung und Wiedergabe von Geschichte, sowie für seine feinfühligen Untersuchungen von Totenkult und Denkmalskultur, hatte maßgeblichen Anteil am exzellenten Ruf der Bielefelder Fakultät für Geschichte. Er saß im Gründungsausschuss der Hochschule und war seit 1989 ihr Ehrensenator.
Reinhart Koselleck »war zugleich ein hoch geschätzter Botschafter der Universität«, sagte Rektor Dieter Timmermann am Samstag. Der mit zahlreichen Preisen gewürdigte Wissenschaftler, ein Meister des geschliffenen Stils in Wort und Schrift, zählte akademische Größen wie Werner Conze, Hans-Georg Gadamer und Carl Schmitt zu seinen Lehrern. Nach Professuren in Bochum und Heidelberg folgte er 1974 dem Ruf nach Bielefeld, wo er bis zur Emeritierung 1988 forschte und lehrte. Fünf Jahre lang (bis 1979) leitete Reinhart Koselleck das Zentrum für interdisziplinäre Forschung; Gastprofessuren und Kollegmitgliedschaften führten ihn nach Berlin, nach Paris und Tokio, Chicago und New York.
Weltweit anerkannt war Reinhart Koselleck dank seiner Arbeiten zur Historik (Theorie der Geschichte), aber maßgeblich bereitete er auch der Sozialgeschichte den Weg. Gerne überließ der bescheiden auftretende Wissenschaftler der »gigantischen ÝkritischenÜ Dissertationsfabrik [Hans-Ulrich] Wehler, [Jürgen] Kocka & Co.« (Patrick Bahners) die Position im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Doch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt mit Reinhart Koselleck einen der diszipliniertesten Vordenker exakter Wissenschaft in ihren universitären Mauern beherbergte.
Mit Otto Brunner und mit seinem Heidelberger Lehrer Werner Conze hatte Reinhart Koselleck die »Geschichtlichen Grundbegriffe« konzipiert. Gegen alle Zweifler führte er das monumentale Standardwerk zu Ende und prägte den Begriff der »Sattelzeit«, eine 100 Jahre währende Epoche des Umbruchs mit der Französischen Revolution als Gipfelpunkt, die die Vormoderne vom Heute und der Demokratie scheidet.
Eloquent und scharfzüngig, dabei humorvoll im Umgang, drückte Reinhart Koselleck jedem Gespräch seinen Stempel auf, und war die Runde auch noch so hochkarätig besetzt. Im Lichte seiner oft nur in Frageform hingeworfenen, intellektuell höchst anregenden Bemerkungen wurde akademisches Mittelmaß sofort offenbar. So manche historische These - wie die von der Kontinuität des Jakobinismus im Nationalsozialismus - hat er als schiere Polemik entlarvt.
Reinhart Koselleck liebte es, als akademischer Reiter im »Sattel der Wissenschaft« die Zeitläufte zu überblicken und in kristallklarem Stil ihren Kern herauszuschälen. In diesem Sinne fühlte er sich zeitlebens der Aufklärung verpflichtet. Wer um den Wert historischer Erkenntnis weiß, wird Reinhart Koselleck schmerzlich vermissen.

Artikel vom 06.02.2006