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Gesichtsverpflanzung

Wieder im Leben


Frankensteins Enkel! Wem kam nicht der Gedanke an den Gruseldoktor, als vor gut zwei Monaten die Meldung von der ersten Gesichtsverpflanzung um die Welt ging? Wer gibt sein Gesicht? Wer kann mit dem Gesicht einer Toten leben? War hier nicht die Grenze dessen überschritten, was Medizin tun muss, kann und vor allem tun sollte?
Nach dem ersten Auftritt der 38 Jahre alten Patientin Isabelle Dinoire ist Umdenken angesagt. Die nach der Attacke ihres Hundes entsetzlich entstellte Frau hat wieder ein Antlitz, mit dem sie sich sehen lassen kann. Einkaufen, arbeiten, ins Kino - sie darf, setzt sich der Heilungsprozess fort, nicht mehr und nicht weniger als wieder am Leben teilhaben.
Ist ein neues Gesicht in diesem Sinne anders zu bewerten als eine neue Hüfte, eine neue Leber, Niere oder ein neues Herz? Seitdem Christiaan Barnard 1967 erstmals das »Zentralorgan« eines Menschen durch ein Spenderherz ersetzte, ist immer auch unter religiösem, ethischem, psychologischem Aspekt die Frage gestellt worden: Kann ein Mensch mit fremdem Organ leben? Nimmt nicht die Seele Schaden?
40 Jahre danach weiß jeder: Er kann recht gut, die weitere Hilfestellung der Medizin vorausgesetzt. Isabelle Dinoire und ihre Ärzte haben in diesem Sinn abermals Neuland betreten. Verurteilen mag das, wer will. Zuvor sollte er aber bedenken, wie die Zukunft der Frau ohne die spektakuläre Operation ausgesehen hätte. Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 07.02.2006