04.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kaum noch Hoffnung auf Überlebende

Unglücksfähre gehörte zur Gattung der »RoRo«-Fähren - vom Roten Meer »verschluckt«

Kairo (dpa/Reuters). Vor dem Hafengebäude in Safaga herrscht großes Gedränge. Weinende und aufgebrachte Angehörige der 1000 vermissten Passagiere der Fähre »Al Salam Boccacio 98« rufen durcheinander. Sie wollen endlich wissen, was mit ihren Kindern, Ehemännern und Vätern passiert ist.

»Die Verantwortlichen behandeln uns von oben herab und schieben uns herum wie Schafe«, ruft ein Mann empört. Ein 60 Jahre alter Angehöriger, der die traditionelle ägyptische Galabija trägt, weint laut. Er wartet auf seinen 22 Jahre alten Sohn, der in Kuwait arbeitet und über Saudi-Arabien mit dem Schiff zu einem ersten Besuch in der Heimat kommen wollte. »Nach dem Freitagsgebet habe ich gehört, dass das Schiff gesunken ist und bin dann mit anderen Angehörigen von Passagieren sofort hier hergekommen«, sagt er.
Die »Al Salam 98« sank nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Freitag, als sie auf dem Weg von Duba in Saudi-Arabien zur ägyptischen Hafenstadt Safaga war. Ein Polizeisprecher sagte, 100 der etwa 1400 Passagiere und Besatzungsmitglieder seien gerettet worden. »Wir erwarten nicht, viele Überlebende zu finden, da seit dem Untergang schon so viel Zeit vergangen ist«, sagte eine mit der Rettungsaktion vertraute Person. Zahlreiche Leichen wurden im Meer treibend entdeckt und an Land gebracht.
Über die Hintergründe des Untergangs der 35 Jahre alten Fähre gab es zunächst keine Informationen. Nach Angaben der Fährgesellschaft war das Wetter auf der Überfahrt schlecht. Es habe starker Wind geherrscht, und es habe geregnet. Einen letzten Funkkontakt soll es am Donnerst um 21.00 Uhr gegeben haben.
An Bord der Fähre, die auf dem Weg von Duba in Saudi-Arabien nach Ägypten war, befanden sich vor allem Ägypter, die in Saudi-Arabien arbeiten oder auf dem Rückweg von einer Pilgerfahrt waren. Die ägyptische Nachrichenagentur Mena veröffentliche eine Passagierliste, derzufolge kein Passagier aus Europa an Bord war.
Von den 1272 Passagieren waren den Angaben zufolgen 1158 Ägypter und 99 Saudi-Araber. Die anderen kamen aus weiteren arabischen Ländern, einer aus Kanada. Außerdem seien fast 100 Besatzungsmitglieder auf dem Schiff gewesen.
Berichten der Agentur Mena zufolge sank das Schiff knapp 100 Kilometer vor Hurghada, nördlich des Hafens Safaga. Ein Schwesterschiff der Fähre, die »Al Salam 95«, sank im Oktober im Roten Meer nach einer Kollision mit einem zyprischen Frachter. Damals wurden fast alle Passagiere gerettet. Im Oktober 2005 erhielt die »Al Salam 98« von einer italienischen Organisation ein Notfall-Management-Zertifikat. Damit wurden Notfallübungen und andere Prozeduren an Bord bewertet. Das Schiff hat eine Größe von mehr als 11000 Tonnen, ist 118 Meter lang und bis zu 17 Knoten (31,5 Stundenkilometer) schnell. An Bord ist Platz für nahezu 1500 Passagiere und Autos. Eine mehr als 100-köpfige Besatzung betreute die Reisenden auf den Fahrten.
Dass es im Roten Meer noch keine Spur vom Unglücksschiff gab, liegt in der Tiefe dieses lang gestreckten Nebenmeeres des Indischen Ozeans zwischen der Arabischen Halbinsel und dem afrikanischen Kontinent begründet: Im Mittelwert sinkt es auf 538 Meter, an den tiefsten Stellen bis 2604 Meter ab. Das Rote Meer gehört zu den am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt.
Bundespräsident Horst Köhler und die Bundesregierung bekundeten Ägypten ihr Beileid für die Opfer des Fährunglücks. Köhler schrieb in einem Telegramm an den ägyptischen Präsidenten Mohamed Hosni Mubarak: »Mit großer Bewegung habe ich die Meldungen über die große Zahl an Opfern verfolgt, die ihr Leben bei dem schrecklichen Fährunglück im Roten Meer verloren haben.«

Artikel vom 04.02.2006