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Islamische Welt in Aufruhr: Hunderttausende protestieren

Zwölf Mohammed-Karikaturen erregen Zorn - Indonesien schwenkt um

Teheran/Kairo (WB/dpa). Die Woge der Empörung über die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen im Westen ist nach den Freitagsgebeten in der islamischen Welt weiter angeschwollen.
In Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Staat der Erde, waren am Freitag die Botschaften aller skandinavischen Länder in der Hauptstadt Jakarta das Ziel empörter Demonstranten. Nationalflaggen als Fußabtreter: Hass und Verachtung gelten in Palästina als politisch zulässige und gewünschte Meinungsäußerung.
Bei den mit Abstand größten Demonstrationen in Iran zogen landesweit hunderttausende Menschen auf die Straße. Proteste gab es auch in Indonesien, im Irak, Syrien, Ägypten, den Palästinensergebieten und Pakistan.
Am Vorabend hatten in Nablus im Westjordanland radikale Palästinenser einen Deutschen angeblich aus Protest gegen die Zeichnungen in ihre Gewalt gebracht und nach einer Stunde wieder freigelassen.
In Indonesiens Hauptstadt Jakarta versuchten einige hundert Menschen, drei skandinavische Botschaften zu stürmen. Eine eher moderate Haltung des bevölkerungsreichsten islamischen Landes hatte Jussuf Habibie in einem Gespräch mit dieser Zeitung noch kurz zuvor angekündigt. Der Sonderbeauftrage Indonesiens für Internationale Fragen hatte vor sieben Jahren die Pressefreiheit eingeführt. Sie bedeute für ihm, frei denken und sich unzensiert mitteilen zu können, ohne aber die religiösen Gefühle von Menschen zu verletzen. Die Regierung werde sich nicht zu den Vorgängen äußern, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, hatte Habibie noch am Donnerstag erklärt. Am Freitag erfolgte angesichts der Unruhen ein Kurswechsel. Die indonesische Regierung verurteilte die Karikaturen.
Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen, in dessen Land die von Muslimen als gotteslästerlich empfundenen Karikaturen vor vier Monaten zuerst erschienen waren, warnte in Kopenhagen vor einer globalen Ausweitung des Konfliktes.
Kurz vor den Freitagsgebeten in der islamischen Welt hatte sich Rasmussen über den Fernsehsender Al Arabija direkt an die Bevölkerung islamischer Länder gewandt. »Für mich ist es wichtig, Ihnen zu sagen, dass die Menschen in Dänemark nicht die Absicht haben, Muslime zu beleidigen.«
Die von den arabischen Regierenden und den Protestierenden verlangte ausdrückliche Entschuldigung durch seine Regierung lehnte Rasmussen erneut ab und verwies auf die Pressefreiheit. Auch die Bundesregierung sieht für eine Entschuldigung keinen Anlass. Regierungssprecher Thomas Steg verwies ebenfalls auf das »hohe Gut der Pressefreiheit« und erinnerte zugleich an die daraus entstehende Verantwortung der Medien.
Der britische Außenminister Jack Straw kritisierte die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen scharf. »Der Nachdruck dieser Zeichnungen ist beleidigend und respektlos«, sagte Straw in London. In jeder Religion gebe es Tabus und die Medien müssten dafür Respekt zeigen. »Die Freiheit der Presse sollte immer so ausgeübt werden, dass auch der religiöse Glauben und die Grundsätze aller Religionen voll respektiert werden.«
Für den Vatikan sagte der italienische Kardinal Achille Silvestrini, man könne über christliche Priester und die Gebräuche der Muslime Satire betreiben, nicht aber über Gott, den Koran oder Mohammed scherzen. »Eine Satire-Freiheit, die das Gefühl anderer verletzt - in diesem Fall das Gefühl ganzer Völker (...) - ist eine Pflichtverletzung«, sagte Silvestrini.
In mehreren europäischen Ländern druckten erneut Zeitungen die Karikaturen nach. Das französische Blatt »Libération« begründete dies mit der Notwendigkeit, die Pressefreiheit zu verteidigen. Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin rief dazu auf, die Erfordernisse der Freiheit und der Achtung in Einklang zu bringen. »Wir wollen natürlich alles vermeiden, was unnötig verletzt, und das vor allem in Glaubensdingen.«.
Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf sagte in Islamabad: »Diese Karikaturen haben unsere Gefühle verletzt, und ich verurteile sie in schärfster Form.« Die Demonstrationen blieben in Pakistan allerdings auf einige hundert Teilnehmer begrenzt. In Ägypten und Syrien demonstrierten nach dem Freitagsgebet Tausende von Muslimen und forderten zum Boykott von Produkten aus Dänemark, anderen europäischen Staaten sowie den USA auf. Es wurden auch dänische Fahnen verbrannt. In Alexandria demonstrierten 3000 Menschen.
Im Gazastreifen und dem Westjordanland gingen nach dem Freitagsgebet zehntausende Palästinenser auf die Straße. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die Veröffentlichung der Karikaturen. Er warnte davor, Bürger europäischer Staaten dafür verantwortlich zu machen. Der Direktor der Al-Aksa-Moschee, Mohammed Hussein, rief die Muslime auf, »überall ihren Ärger zu zeigen«. Er mahnte aber auch, westlichen Bürgern dabei keinen Schaden zuzufügen.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, rief die Muslime auf, in der Diskussion über die umstrittenen Mohammed-Karikaturen keine Gewalt zuzulassen. Die Empörung der islamischen Welt sei verständlich.

Artikel vom 04.02.2006