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Kindes-Mörder gibt Opfer Mitschuld

Neunjähriger Fabian aus Versmold erdrosselt - Überraschende Erklärung zum Prozessauftakt

Von Christian Althoff
Versmold (WB). Der Mord an einem neun Jahre alten Jungen aus Versmold (Kreis Gütersloh) wird seit Freitag vor dem Landgericht Lübeck verhandelt. Der Stiefvater, der die Tat bereits gestanden hatte, überraschte zum Prozessauftakt mit einer Erklärung, in der er schwere Vorwürfe gegen das getötete Kind erhob.

Petra K. (23) und Fabio R. (33) hatten sich 2003 getrennt, der Kinder wegen aber den Kontakt aufrechterhalten. Bauschlosser Fabio R. war mit der gemeinsamen Tochter Yasmin (4) nach Geesthacht (Schleswig Holstein) gezogen, Petra K. kümmerte sich in Versmold um Fabian (9) und Andre (2), die aus einer früheren Verbindung stammten.
In den Sommerferien 2005 hatte der arbeitslose Bauschlosser alle drei Kinder für ein paar Wochen zu sich genommen. »Meine Stiefsöhne waren für mich wie eigene Kinder und sagten Papa zu mir«, sagte er am Freitag im Prozess. Dennoch war es am 13. August zu dem äußerst brutalen Verbrechen gekommen. Bereits am Vorabend soll der 33-Jährige den neunjährigen Fabian schwerst misshandelt haben. Staatsanwalt Markus Wendt: »Der Angeklagte fühlte sich von dem Kind angelogen. Deshalb boxte er ihm mehrfach in den Bauch. Als der Junge daraufhin stürzte, trat ihm der Stiefvater zweimal in den Rücken.«
Fabian hatte dabei schwere innere Verletzungen, wie einen Leberriss, erlitten und musste sich in den folgenden Stunden aufgrund innerer Blutungen mehrfach übergeben. Der Staatsanwalt: »Darüber war der Angeklagte so erbost, dass er das Kind gegen ein Uhr morgens für etwa zehn Sekunden massiv würgte, wovon sich der Junge jedoch wieder erholte und sich zu dem Angeklagten vor den Fernseher setzte.« Als sich der schwer verletzte Fabian dort gegen 2.30 Uhr erneut auf dem neuen Sofa übergeben habe, habe Fabio R. in Anwesenheit der kleinen Yasmin einen Gürtel genommen und Fabian damit den Hals abgeschnürt, bis jede Kraft aus dem kleinen Körper gewichen sei.
Fabio R. hatte sich damals nach der Tat schlafen gelegt und am nächsten Morgen einen Notarzt für den bereits toten Jungen gerufen. Er hatte zunächst angegeben, das Kind sei bei einer Prügelei auf dem Spielplatz von anderen Kindern verletzt worden, bis er unter der Last der Beweise ein Geständnis abgelegt hatte.
Zu Beginn der Verhandlung erklärte der etwa 195 Zentimeter große und überaus kräftig wirkende Fabio R., er werde von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Er hatte in der Untersuchungshaft allerdings eine zehnseitige, handgeschriebene Erklärung verfasst, die er am Freitag vom Vorsitzenden Richter Fritz Vilmar vortragen ließ.
Der Tod Fabians gehe ihm sehr nahe, heißt es einleitend, und »es hätte nie passieren dürfen«. Sein Geständnis bei der Polizei stimme im Wesentlichen, aber er habe »nicht die ganze Wahrheit gesagt«. Was Fabio R. als »ganze Wahrheit«bezeichnete, löste am Freitag im Zuschauerraum des Lübecker Schwurgerichtes einhelliges Kopfschütteln aus, denn Fabio R. versuchte, dem neunjährigen Opfer indirekt eine Mitschuld an seinem gewaltsamen Tod zuzuschreiben.
In der vom Richter verlesenen Erklärung heißt es: »Ich bin nachts aufgestanden, um eine Zigarette zu rauchen. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich, wie Fabian gerade Yasmin ein Kopfkissen aufs Gesicht drückte. Ich habe ihn fortgestoßen und Yasmin in den Arm genommen. Da sprang Fabian auf, griff Yasmin an den Hals und würgte sie.« Er sei daraufhin ausgerastet, schrieb der Angeklagte, und habe in Angst um Yasmin zu dem Gürtel gegriffen und ihn Fabian auf den Hals gedrückt. Er habe Yasmin beschützen wollen. »Mir ist nicht bewusst gewesen, wie gefährlich es sein kann, jemandem den Hals zuzudrücken«, heißt es in dem Schrifststück weiter.
Mutter Petra K. ersparte sich am Freitag die Verlesung der Anklage sowie der Erklärung. Sie wartete auf dem Gerichtsflur, während im Saal die grausamen Details erörtert wurden. Petra K. ist Nebenklägerin in dem Mordprozess und will den Mann, der ihr den ältesten Sohn nahm, lebenslang hinter Gittern sehen. Ihr Rechtsanwalt Dr. Detlev Binder aus Bielefeld sagte nach dem ersten Verhandlungstag: »Es ist unwürdig, dass dem toten Kind jetzt auch noch eine Mitschuld an seinem eigenen Tod angedichtet werden soll. Die Behauptung des Angeklagten, er habe quasi in Nothilfe gehandelt, um die Tochter zu retten, ist grotesk und wird mit Sicherheit vom Schwurgericht auch nicht geglaubt.« Der Prozess geht Dienstag weiter.

Artikel vom 04.02.2006