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Ist Europa irritiert oder kuscht
es vor totalitärer Gesinnung?

Dänische Muslim-Provokation schlägt zurück auf den gesamten Westen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). »Ein Beispiel dafür, wie eine demokratische Öffentlichkeit vor einer totalitären Gesinnung kneift«: So hat der jüdische Publizist Henryk M. Broder den ausufernden Karikaturen-Streit zwischen Europa und Nahost bezeichnet.
»Keine dänischen Produkte« heißt es auf diesem Aushang in einem Supermarkt in Amman, Jordanien.

Kundgebungen von Bewaffneten gegen EU-Büros in Gaza, geschürte Demonstrationen arabischer Massen sowie die fristlose Entlassung eines französischen Chefredakteurs waren gestern die Extreme einer Entwicklung, die vor vier Monaten begonnen hatte.
Die dänische Zeitung »Jyllands-Posten« hatte 2005 zwölf nach islamischem Verständnis strengstens verbotene Abbildungen des Propheten Mohammed veröffentlicht. Bewusst sollte damit provoziert werden. Seit Monaten gibt es bei Deutschlands nördlichem Nachbarn einen Streit um die Grenzen der Toleranz.
Nach Jahrzehnten großer Offenheit hatten sich die dänischen Wähler mit Mehrheit für eine restriktivere Zuwanderungspolitik entschieden. Ähnlich wie die Niederländer empfinden die Dänen eine Infragestellung ihrer Freiräume etwa im Schul- und Gesundheitswesen, sowie eine Aushöhlung ihres Solidaritätsverständnisses durch einen wachsenden nicht-dänischen Bevölkerungsanteil.
Den dänischen Muslimen ihrerseits erschien die gesamte Debatte des Jahres 2005 als so bedrohend und rassistisch, dass sich ihr wichtigster Verband um Unterstützung seitens einiger arabischer Staaten bemühte. Eine Delegation reiste zum Obermufti von Ägypten und führte Gespräche mit Vertretern der Arabischen Liga.
Im Gepäck hatten sie ein 43-seitiges Dossier Es enthielt die zwölf Karikaturen - darunter Mohammed als gezündete Bombe - aus »Jyllands Posten«, ergänzt um drei weitere, noch provokantere Zeichnungen. Diese 15 Bilder sind der Kern der Auseinandersetzung.
Dem dänischen Journalisten Kaare Quist von »Ekstra Bladet« zufolge sind die drei zusätzlichen Schmähzeichnungen ungleich heftiger und geeignet, den Konflikt anzuheizen. Sie stellen den Propheten als Pädophilen und als Schwein dar. Das dritte Extra-Motiv zeigt einen betenden Muslim, der von einem Hund besprungen wird.
Ahmed Akkari, Mitglied der Delegation, hat die Darstellung bestätigt. Die Extra-Karikaturen sollten zeigen, welchen Reaktionen sich dänische Muslime ausgesetzt sehen, die sich in Leserbriefen gegen die Aktion von »Jyllands-Posten« aussprachen. Ziel der Aufrüttelungsaktion sei es gewesen, eine Wiederholung des Falles Theo Van Gogh zu verhindern. Der niederländische Filmemacher war wegen seiner Kritik am Islam von Islamisten ermordet worden.
Der Sturm der Empörung in den arabischen Staaten, der sich oft gegen alle Skandinavier, mitunter sogar gegen alle Europäer richtete, hatte zwei Folgen: »Jyllands-Posten« entschuldigte sich, andere europäische Zeitungen druckten die Karikaturen nach.
So auch das französische Massenblatt »France soir«, das den verantwortlichen Chefredakteur feuerte. Kommentar des Präsidenten des französischen Muslim-Rates, Dalil Boubakeur: »Wer Wind sät, kann Sturm ernten.«
Die Europäische Union sah sich gestern gezwungen, ihre Vertretung im Gazastreifen zu schließen. Bewaffnete Palästinenser hatten Schüsse auf das Gebäude abgegeben. 50 maskierte Männer waren in den Vorgarten des EU-Büros eingedrungen und hatten erklärt, die »europäische Provokation« mache alle Institutionen in Gaza und der ganzen Welt zum »Ziel ihres Feuers«.
In Deutschland wird die Diskussion mit großer Zurückhaltung geführt. Am deutlichsten wurde gestern Volker Beck für die Grünen im Bundestag: »Wer wegen einer unangemessenen Mohammed-Karikatur mit Bombe im Turban mit Bombendrohung reagiert, gibt denen recht, die dieses Bild für eine Beschreibung des Islam halten.« Er appellierte an die deutschen Muslime, die Meinungsfreiheit in Deutschland anzuerkennen, zu schätzen und zu verteidigen. »Muslime müssen genauso wie die christlichen Kirchen und Juden Kritik und Satire ertragen.«
Henryk M. Broder hatte in seinem Beitrag für Spiegel-Online am Vortag daran erinnert, wie in deutschen Medien »täglich und überall Karikaturen über Jesus, den Papst und sein Bodenpersonal« erscheinen. Broder warnte davor einzuknicken.
Leider sei ein solches Kneifen vor totalitärer Gesinnung schon öfter geschehen. Fast vergessen, schrieb Broder, sei die Affäre um einen Beitrag Rudi Carrells in seiner »Tagesshow« vor mehr als 20 Jahren, als Ajatollah Chomeini mit Büstenhalter gezeigt wurde. Noch erheblicher sei die »Fatwa« gegen Salman Rushdie gewesen.
Dessen »Satanische Verse« von 1988 haben Folgen bis heute. Der islamische Autor muss immer noch um sein Leben fürchten.

Artikel vom 03.02.2006