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Kerzen und Gebete in Leipzig

Bundesweit sind die Menschen in tiefer Sorge um deutsche Irak-Geiseln

Von Marion van der Kraats,
Erik Nebel und Petra Strutz
Leipzig (dpa). Die Sorge wächst. Die zweite Videobotschaft von den im Irak entführten Leipzigern René Bräunlich (31) und Thomas Nitzschke (28) hat in der Stadt tiefe Betroffenheit ausgelöst.

»Etwas Schlimmeres hätte nicht geschehen können«, sagt der Fußballtrainer von Bräunlich, Michael Herrn. An der im Wendeherbst 1989 weltweit bekannt gewordenen Nikolaikirche legen Menschen Blumen nieder und zünden Kerzen an. Ein provisorisch angebrachter Zettel an der Kirchentür weist auf eine weitere Mahnwache am Donnerstag hin. »Wir wollen hier eine stummen Schrei sichtbar und hörbar machen«, sagt Pfarrer Christian Führer.
Noch in der Nacht, unmittelbar nach der Ausstrahlung des erschütternden Videos im arabischen Sender Al-Dschasira haben der Pfarrer und Cryotec-Chef Peter Bienert diese Mahnwache vereinbart. Sie soll ein Zeichen der Solidarität mit den Geiseln und ihren Angehörigen sein. »Wir sind alle sehr betroffen und erschrocken«, beschreibt Bienert die Stimmung in dem Unternehmen angesichts des 72-Stunden-Ultimatums. Bräunlich ist bei der Firma als Service-Monteur angestellt, Nitzschke seit August 2005 als Ingenieur.
»Das Schlimme ist, dass man so gar nichts machen kann«, sagt Horst Wenk, der in einer benachbarten Firma arbeitet. Dieses Gefühl der Ohnmacht begleitet vor allen Dingen die Angehörigen. »Irgendwie muss es ja weitergehen«, sagt Bräunlichs Lebensgefährtin Sindy Brost tapfer.
Die neuen Bilder haben sie sehr erschüttert, sagt die 29 Jahre alte Friseurin. Der Anspannung und Erschöpfung zum Trotz geht die Mutter eines dreijährigen Sohnes wieder arbeiten. Die Angehörigen der Geiseln erfahren in diesen Tagen viel Unterstützung von Verwandten, Freunden und Nachbarn - auch wenn es darum geht, sie vor zu viel Öffentlichkeit abzuschirmen.
Auch auf öffentlicher und politischer Ebene gibt es Beistand. Vor dem Hintergrund der Oberbürgermeister-Wahl in Leipzig an diesem Sonntag bemühen sich die Kandidaten jedoch um Sensibilität. »Wir dürfen uns auf Kosten dieser Entführung nicht profilieren«, heißt es unisono.
Der amtierende Oberbürgermeister Andreas Müller (SPD) ist stattdessen zur Nikolaikirche gegangen und hat eine Kerze angezündet. »Wir müssen zeigen, dass wir Hoffnung haben«, sagt er und erinnert an die Wendezeit, in der Kerzen auch ein Symbol des Zusammenstehens waren. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) ist in großer Sorge um die Geiseln. »Das neue Video mit dem Ultimatum der Entführer zeigt die ganze Brutalität dieses entsetzlichen Verbrechens«, sagt der Regierungschef.

Artikel vom 02.02.2006