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Studenten besetzen aus Protest Rektorat

Universitätssenat macht Weg für Studiengebühren frei

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Die Diskussion über die geplanten Studiengebühren war heftig, kontrovers, von Buh-Rufen und Rücktritts-Forderungen begleitet. Letztendlich aber kam sie zu dem Ergebnis, das das Rektorat der Universität wollte: Der Senat erteilte der Hochschulleitung den Auftrag, eine Satzung für Studienbeiträge zu entwerfen. Darüber soll dann in der Senatssitzung vom 3. Mai abgestimmt werden. Für die Studierenden ist damit eine Vorentscheidung gefallen. Sie reagierten darauf mit der Besetzung des Rektorats.

Die Studierenden hatten vorab mobil gemacht. Mit Flugblättern und Spruchbändern hatten sie ihre Kommilitonen aufgefordert, geballt an der gestrigen Sitzung des Universitätssenates teilzunehmen. Die war zur Behandlung des strittigen Tagesordnungspunktes von Versammlungsleiter Prof. Dr. Neithard Bulst ins Audimax verlegt worden. Etwa 2000 Studenten verfolgten sie engagiert.
500 Euro Gebühren pro Student und Semester hatte das Rektorat der Hochschule vorgeschlagen. Mit den Einnahmen - unter dem Strich würden etwa 13 Millionen bei der Hochschule verbleiben - sollen die Studien- und Lehrbedingungen verbessert werden. »Die Zukunft der Universität wird davon abhängen, ob es gelingt, die Missstände abzustellen«, sagte Rektor Prof. Dr. Dieter Timmermann - qua Amt beratend im Senat - in seiner ersten Einlassung. Begleitet wurde sie von Rufen, die seinen Rücktritt forderten. Timmermann betonte, dass das Land zugesagt habe, die Zuschüsse für die Hochschulen nicht zu kürzen und eine sozialverträgliche Komponente eingebaut sei.
Das konkretisierte Prorektor Prof. Dr. Gerhard Sagerer: Studenten, die mehr als 333 Euro Bafög im Monat erhalten, müssten keine Studiengebühren zahlen, wer zwischen 167 und 333 Euro erhält, zahlt weniger. Problematisch werde es für die, die wenig Bafög oder gerade keines bekämen. Aber: Jobs als Tutor oder Hilfskräfte - von den Einnahmen eingerichtet - sollen für den Ausgleich sorgen. Die Studenten quittierten das mit Pfiffen und Gelächter.
Das studentische Senatsmitglied Ingo Bowitz gestand zu, dass die Studienbedingungen verbessert werden müssten. »Ich persönlich sitze aber lieber auf Treppenstufen, als irgendjemanden vom Studium auszuschließen.« Denn die Studierenden führen als Argument gegen Studiengebühren ins Feld, dass es zu einer Selektion kommen werde. Kritik übte Bowitz am Verfahren, unterstellte dem Rektorat, den Senatsmitgliedern nach politischer Gefälligkeit Informationen erteilt zu haben. »Ich sehe keinerlei Basis zu einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit«, sagte er an die Adresse von Timmermann und forderte unter Gejohle die Einrichtung einer Kommission zur Rektorfindung.
Mit Misstrauen reagierte auch Dr. Raimund Anhut, Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Senat, auf die Ankündigung der Landesregierung, die Zuschüsse für die Hochschulen nicht kürzen zu wollen. Ebenso sprach er sich gegen einen Einheitsbeitrag von 500 Euro aus: »Zumindest optional sollte die Summe auch geringer sein.« Zudem plädierte er für eine Staffelung nach Studienfach. Auf die soziale Lage der Studierenden machte AStA-Vorsitzender Janosch Stratemann aufmerksam: »Mehr als 50 Prozent haben weniger als das Existenzminimum von 640 Euro. Und der Bafög-Höchstsatz liegt noch 60 Euro niedriger.« Er verwies darauf, dass Deutschland laut OECD-Statistik bei den Ausgaben für Bildung einen unteren Rang belege.
Kanzler Hans-Jürgen Simm beklagte die seit Jahren von der Uni kritisierte »gravierende Unterfinanzierung« der NRW-Hochschulen und hätte es lieber gesehen, wenn die Politik Studiengebühren beschlossen und den schwarzen Peter nicht den einzelnen Hochschulen zugeschoben hätte. Wenn die Universität Bielefeld aber nicht zur »Provinzuni« degenerieren wolle, blieben nur Gebühren. Mit 15 Stimmen erfolgte schließlich der Auftrag an das Rektorat, eine Beitragssatzung zu formulieren, dabei aber die Summe der Gebühren noch offen zu lassen. Drei Senatoren stimmten dagegen, drei enthielten sich.
Die Gemüter beruhigten sich aber so schnell nicht: Uni-Rektor Timmermann wurde vor seinem Büro von Studenten mit Trillerpfeifen »begrüßt«, 150 Studierende besetzten anschließend spontan das Rektorat und richteten sich dort für die Nacht ein. Auf herbeigeschafften Sofas, bei Wasser, Bier und Chips diskutierten sie untereinander und mit Rektoratsmitgliedern. »Auf gute Argumente der Studierenden wurde im Audimax nicht eingegangen«, bemängelte Eike Leidgens, Student der Psychologie im ersten Semester. Janosch Stratemann warf Timmermann erneut gezielte Desinformation vor und meinte, Stimmen von Senatoren seien durch finanzielle Versprechen für ihre Arbeitsbereiche geködert worden. »Scheindemokratisch« nannte Bowitz die Senatssitzung.
Demgegenüber versuchten Kanzler Simm und die Prorektoren Prof. Dr. Martin Egelhaaf und Sagerer erneut in Einzelgesprächen zu begründen, warum man Studiengebühren für nötig halte. »Wir könnten alles laufen lassen und bekämen dafür Applaus. Wir könnten aber keine Studienbedingungen verbessern. Und das wollen wir«, bekräftigte Sagerer.

Artikel vom 02.02.2006