03.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Gunter Thielen

»Warum sollte Frère seine
Aktien verkaufen, wenn die
Redite stimmt?«

Leitartikel
Bertelsmann AG

Frère zwingt
Thielen
aufs Parkett


Von Bernhard Hertlein
Zwei Aktien treffen sich, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, auf dem Börsenparkett. Die eine, Karstadt Quelle, versucht unter dem Einfluss der Schickedanz-Familie gerade den Abflug. Die andere, Bertelsmann, lächelt ein bisschen gequält zu ihrem Börsendebüt. Von der Galerie beobachtet Thomas Middelhoff gespannt die Szene.
Als Chef von Karstadt Quelle ist er - in dieser Vision - nun wieder Chef eines Familienunternehmens. Das war er allerdings auch bei Bertelsmann, bevor er eine Entscheidung durchsetzte, deren Spätfolge nun in dem Börsengang der Gütersloher zu besichtigen ist.
Die Wendungen der Geschichte - auch der Geschichte von Unternehmen - sind nicht immer vorauszusehen. Unter Lokführer Gunter Thielen schien sich der Bertelsmann-Zug zuletzt eher von der Börse zu entfernen.
Sicher, das Management tat alles, um die AG für den Kapitalmarkt fit zu machen. Aber wenn Thielen von Gesprächen mit dem belgischen Milliardär und Bertelsmann-Miteigentümer Albert Frère berichtete, klang das beschwichtigend. »Warum sollte Frère«, so fragte Thielen, »seine Aktien verkaufen, wenn die Rendite stimmt?«
Nun hat der Kapitalanleger und Chef von GBL offenbar doch andere Vorstellungen von einer »vernünftigen Rendite« als die zehn Prozent, die Thielen sich bei Bertelsmann noch vor seinem Abschied zum Ziel gesetzt hat. Oder Frère sieht die Chance, aus einer visionären Aktie einmalig mehr Kapital (vier bis fünf Milliarden Euro) herauszuschlagen als durch die Addition vieler Jahresgewinne (für Frère garantiert: jeweils 120 Millionen Euro).
Kann sein. Vielleicht aber kommt es doch noch anders. Nichts ist ausgeschlossen. Frère gilt als unberechenbar. Und von Reinhard Mohn weiß man, dass die Börse in seinen Augen von einem Vorstand so ungefähr das Gegenteil dessen fordert, was er unter »guter Unternehmensführung« versteht. Jedoch würde ein Rückkauf der Aktien die Kasse der Bertelsmänner auf Jahre so schwächen, dass keine größeren Sprünge mehr möglich wären.
Kommt es aber Anfang 2007 zum Börsengang, wird sich in Gütersloh einiges ändern. Dabei geht es weniger um Berichtspflicht. Bertelsmann kommt seit einiger Zeit den Anforderungen an eine Publikumsgesellschaft nach.
Ändern wird sich der Umgang mit den Zahlen. Analysten werden sie durchhecheln, werden jede kleine Abweichung kommentieren. Langfristiges Denken, wie es Bertelsmann zum Beispiel bei der Rekrutierung des Führungspersonals auszeichnet, wird dann schwerer. Selbst der Fahrplan für den Wechsel im Vorstandsvorsitz wird fraglich.
Delegation von Verantwortung? Wertschätzung der Belegschaft? Partnerschaftlicher Umgang? Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft? Solche »Sperenzchen« gehen auf dem Parkett allenfalls als Kür noch durch.
Beim Pflichtprogramm neigen die Börsianer zum Punktabzug.

Artikel vom 03.02.2006