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Eis reißt Loch in Rumpf:
Binnenschiffer sitzt fest

Dicke Schollen stoppen Verkehr auf Mittellandkanal

Von Christian Althoff
Vlotho (WB). 400 Binnenschiffer liegen derzeit auf dem Mittellandkanal im Eis fest. Besonders hart hat es Ralf Debus (40) aus Vlotho getroffen: Die Schollen haben den Rumpf seines Schiffes aufgerissen.
Zeit zum Putzen: Das Wappen von Vlotho schmückt den Steuerstand.

Der Mittellandkanal in Höhe der Mindener Schachtschleuse. An der stählernen Spundwand hat die »Marvin Debus« festgemacht - ein 80 Meter langes und 8,20 Meter breites Motorgüterschiff, das Eigner Ralf Debus nach seinem 13-jährigen Sohn benannt hat. Auf der Backbordseite sprudelt aus einem armdicken Schlauch Wasser in den Kanal, das von einer Pumpe aus dem undichten Laderaum gefördert wird. »Die Rosemeier-Werft ist nur ein paar hundert Meter entfernt, aber der Zugang zum Werftgelände ist zugefroren«, sagt der Vlothoer achselzuckend, der dringend auf einen Reparaturtermin wartet.
Ursprünglich hatte Ralf Debus für die Oberweser-Dampfschifffahrt in Hameln Touristen über die Weser gefahren - bis das Traditionsunternehmen 2002 Konkurs anmelden musste. Da erfüllte sich der gelernte Binnenschiffer einen langgehegten Traum und erwarb 2003 das Frachtschiff, das 1954 am Rhein vom Stapel gelaufen war. Seitdem ist er zusammen mit einem Steuermann auf den Wasserstraßen Deutschlands, Hollands und Belgiens unterwegs - vor allem mit Kohle und Getreide.
Auch am Donnerstag vergangener Woche wollte Debus in Braunschweig 1000 Tonnen Getreide laden. »Auf dem Weg dorthin trieben bereits dicke Eisschollen im Mittellandkanal. Natürlich wäre es besser gewesen, ich wäre nicht gefahren, aber das kann man sich nicht aussuchen. Der Preisdruck in unserem Gewerbe lässt es nicht zu, größere Rücklagen zu bilden und vorsichtshalber einen Tag Pause einzulegen«, erklärt der 40-Jährige. Als er in Braunschweig die Luken öffnete, um das Getreide zu übernehmen, schwappte Wasser im Laderaum. »Offenbar hatte sich auf dem Hinweg eine große Eisscholle unter den Rumpf geschoben und eine weiche Stelle im Stahl gefunden. Schließlich ist der Schiffsboden nach mehr als 50 Jahren nicht mehr überall neun Millimeter stark, so wie beim Stapellauf«, sagt Debus.
Mit laufender Lenzpumpe hatte sich die »Marvin Debus« langsam auf den Rückweg nach Ostwestfalen gemacht, wo das Schiff am Wochenende in Minden eingefroren war. »Im Moment ist der Kanal in Richtung Hannover gesperrt. Aber seit Dienstag sind drei Eisbrecher unterwegs, und vielleicht brechen sie mir ja auch einen Weg in den Werfthafen«, sagt der Vlothoer, der nach seinem Wissen der letzte selbständige Binnenschiffer seiner Heimatstadt ist.
Der Werftaufenthalt werde 14 Tage dauern, fürchtet Ralf Debus. »Ich hatte in diesem Jahr schon einmal einen Eisschaden, den ich aber nur provisorisch habe reparieren lassen. Jetzt werde ich den alten Schiffsboden auf 20 Metern Länge austauschen lassen. Der hält dann wieder 50 Jahre.« Ob Sohn Marvin dann im Steuerstand sitzen wird, weiß Ralf Debus noch nicht: »Er findet's natürlich toll an Bord und fährt in den Schulferien auch mit. Aber wenn er erstmal die erste große Liebe findet, will er wahrscheinlich nicht dauernd auf Achse sein«, schmunzelt der Vlothoer.
Die anstehende Liegezeit in der Werft, dazu die vielen Tage im Eis - der finanzielle Verlust, den die tiefen Temperaturen dem Binnenschiffer und seinen Kollegen in diesem Winter bescheren, sind beträchtlich: »Jeden Tag fehlen mir 1000 Euro Umsatz, und die Kosten laufen weiter.«
Zumindest die Ehefrau und der Sohn profitieren ein wenig von der Zwangspause: »Ich kümmere mich zwar derzeit jeden Tag um mein Schiff, aber abends bin ich immer zu Hause. Sonst sehen mich meine beiden höchstens einmal im Monat - wenn ich zufällig durch Minden komme, dort festmache und den Zug nach Vlotho nehme.«

Artikel vom 02.02.2006