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Was niemals vergessen werden darf

Ein einfacher Soldat blickt noch einmal zurück auf eine schlimme Zeit

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Mit 130 Mann marschierte seine Kompanie in die Hölle vor Leningrad. Nur fünf kehrten zurück. Mit mehr als 80 Jahren hat Hans-Heinrich Sasse aufgeschrieben, was nie vergessen werden darf.
Hans Heinrich Sasse, Zwei Spätsommer vor Leningrad, Ein Kriegstagebuch mit 46 Abbildungen, Gefechtsskizzen und Karten, Books on Demand, 580 Seiten, 32,80 Euro, ISBN 3-8334-3024-9

Viele WESTFALEN-BLATT-Leser haben sein 2001 erschienenes Kriegsende-Tagebuch »Vom Sauerland zur Weser« nachgefragt. Auch das hat den 1922 geborenen Weltkriegs II-Teilnehmer veranlasst, jetzt über »Zwei Spätsommer vor Leningrad« (und sehr viel mehr Einsätze davor und danach) haarklein zu berichten.
Spannend wie ein Krimi liest sich für die Folgegenerationen, was Sasse aus seinem Kriegstagebuch, aus eigenen Fotos, Gefechtsskizzen und Karten zusammenträgt. Bekannte Eckdaten, etwa der Winterfeldzug ohne warme Ausrüstung, bekommen hier beklemmende Realität. Die Ausfälle durch Kälte sind in Sasses Einheit größer als durch Feindeinwirkung.
Auch wenn reichlich militärische Ausdrücke fallen, von »sMGs« »Iwan« und »Schlamassel« die Rede ist, muss niemand Sorge haben, hier würde einem falschen Heldentum gefrönt.
Zu bitter, zu hart wird die wahre Seite des Kriegs geschildert, die die jungen Männer durchleiden. Dabei wird stille Bewunderung dafür geweckt, wie viel Selbstbeherrschung, Verantwortungsbereitschaft und Menschlichkeit angesichts des permanenten Sterbens rundum noch möglich bleiben.
Sasse hat alles erlebt, alles gesehen: Vom der fernen Silhouette Leningrads bis zur Massenlandung britischer Lastenträger vor seinen Augen in der Normandie. Er bleibt fast die gesamte Zeit der kleine Gefreite, der auch deshalb überlebt, weil russische Scharfschützen Funktionsträger zuerst aufs Korn nehmen, sein Überlebensinstinkt in sechs Kriegsjahren reift und nur unvorstellbares Glück ihm das Schicksal vieler, vieler guter Freunde erspart.
Jungen Lesern, die nur Kriegsfilme und Computersimulationen kennen, ist dieses Buch zu empfehlen. Hier steht kein Held wieder auf, aber fallen Soldaten in Serie, die fast noch Kinder sind.

Artikel vom 01.02.2006