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»Kiwi« schmeckt Tennis
wieder so richtig gut
Nicolas Kiefer klettert durch das Halbfinal-Aus in Melbourne auf Rang 12 der Welt
Halle/Melbourne. Noch ein Winken ins weite Rund der Rod-Laver-Arena, noch einmal sehnsüchtig in alle Richtungen geblickt und dann der Abgang durch den Spielertunnel in die Katakomben. Am 27. Januar um 23.32 Uhr Ortszeit endete der Traum von Nicolas Kiefer vom Einzug ins Endspiel der Australian Open in Melbourne. In nur 2:40 Stunden scheiterte er glatt mit 3:6, 7:5, 6:0, 6:2 an Roger Federer. Er wollte den Branchenprimus stürzen und wurde stattdessen in den letzten beiden Sätzen vorgeführt.
Ein sehr erfolgreiches Turnier endete für den Hannoveraner mit einer bitteren Enttäuschung - auf den Tag genau 15 Jahre nach Boris Beckers erstem Finalsieg in Melbourne gegen Ivan Lendl, mit dem der Deutsche erstmals auch die Nummer eins der Welt wurde. »Insgesamt habe ich zwei super Wochen gehabt, ich muss die guten Sachen sehen«, sagte der 28-jährige Kiefer nach dem Spiel. Eine dieser guten Sachen ist, dass er in der neuen Weltrangliste von Platz 25 auf Rang 12 kletterte. Doch das interessierte ihn zu mitternächtlicher Geisterstunde am anderen Ende der Welt nach dem verlorenen Halbfinale zunächst nicht: »Ich muss das alles erst noch realisieren. Jetzt bin ich enttäuscht und sehr müde.« Wieder gelang es nicht, die Hürde Federer zu überwinden. »Die ersten beiden Sätze waren sehr hohes Niveau, danach aber hat er unglaublich gespielt«, meinte Kiefer: »Am Ende war er einfach zu gut.«
Kiefer hat bereits zum siebten Mal in Folge gegen den 24 Jahre alten Eidgenossen verloren, insgesamt verschlechterte sich seine Bilanz auf 3:8 Siege. »Mein großes Ziel bleibt, ihn einmal wieder zu schlagen«, erklärte der Niedersachse fast trotzig: »Ich werde weiterarbeiten und es immer wieder versuchen.« Dabei ahnt er wohl, dass es ein fast unerreichbares Ziel ist: »Man spielt an seinem Limit, aber er kann immer noch einen draufsetzen.« Kiefer hatte bereits in Federers erstem Aufschlagspiel eine Breakchance, die er nicht nutzen konnte. Stattdessen gab er sein Service zum 1:3 und damit praktisch den Satz ab. Er wirkte in dem Match verhaltener als in den Spielen davor, von der versprochenen Aggressivität und dem Kampfgeist war nur wenig zu sehen. Dennoch gelang ihm in einem ausgeglichenen zweiten Durchgang ein Break zum 7:5-Satzgewinn. Anschließend steigerte Federer sein Niveau und deklassierte Kiefer im dritten Durchgang. Die Kräfteverhältnisse waren damit geklärt, mit zwei Breaks zum 2:1 und 4:1 im vierten Durchgang war die Partie praktisch entschieden. »Ich habe wohl auch zu viel Energie in den ersten Runden gelassen«, sagte Kiefer. Ihm gelangen zwar auch spektakuläre Punkte, insgesamt aber unterliefen ihm wesentlich mehr Fehler, er spielte nicht konstant genug. Tommy Haas schien bei seiner Fünfsatzniederlage gegen den Weltranglisten-Ersten wesentlich näher an einer Überraschung.
Gemeinsam wollen Haas und Kiefer beim Davis Cup vom 10. bis 12. Februar in Halle Frankreich schlagen. Kiefer fliegt zurück ins kalte Deutschland, um sich daheim zu erholen und die Bänderdehnung im Fuß behandeln zu lassen: »Dann geht es früh nach Halle, um mich auf den Davis Cup vorzubereiten. Das ist mein Lieblingsort, schön nah an Zuhause.«
Davis-Cup-Teamchef Patrik Kühnen war mit der Form seines Spitzenspielers in Australien absolut zufrieden: »Federer hat ab dem dritten Satz stark zugelegt und war dann einfach nicht mehr zu bremsen.« Kiefer blieben nach dem größten Erfolg in seiner Karriere bei einem Grand-Slam-Turnier ein Preisgeld von umgerechnet 188 000 Euro und die Gewissheit, dass er wieder in der erweiterten Weltspitze angekommen ist. Im Juli 2003 stand er nach einer Serie von Verletzungen und schwachen Leistungen auf Platz 80, jetzt kratzt er wieder an den Top Ten. »Das Entscheidende war, dass ich nie den Kopf habe hängen lassen und immer an mich geglaubt habe«, erklärt Kiefer: »Jetzt habe ich das Handy ausgemacht - plötzlich habe ich nämlich wieder ganz viele Freunde.«

Artikel vom 04.02.2006