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Erst Schindlers Liste, dann Ramallah

Bundeskanzlerin Merkel meistert die Diplomatie zwischen den Lagern

Jerusalem/Ramallah (dpa). Nur wenige Tage nach den Wahlen und dem überraschend hohen Sieg der Hamas machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas gestern ihre Aufwartung. Treffen mit Mahmud Abbas: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Und Abbas stellte klar: Er sei vor einem Jahr gewählt worden und sehe keinen Grund, nicht weitere drei Jahre im Amt zu bleiben. Merkel unterstrich auch in Ramallah, dass für Deutschland eine Zusammenarbeit mit einer Palästinenser-Behörde unmöglich ist, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Die Zusicherung sich an alle Verpflichtungen zu halten und den Friedensprozess fortsetzen zu wollen, stößt bei der Kanzlerin auf offene Ohren.
Wenige Stunden zuvor: Sichtlich betroffen faltet die Kanzlerin in der »Halle der Erinnerung« der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem die Hände und neigt den Kopf. Zwei Stunden ist sie durch das riesige Areal in Jerusalem gelaufen und hat den Worten des Direktors, Avner Shalev, gelauscht, der ihr die Geschichte der systematischen Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die Nazis vortrug.
An ihrer Seite Noach Flug (80), Überlebender des Gettos in der polnischen Stadt Lodz und Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Längere Zeit blieb Merkel vor der Vitrine mit der Liste der von Otto Schindler geretteten Juden stehen, um danach zu beklagen, dass in Nazi-Deutschland nur sehr wenige Menschen Juden halfen.
Die Existenz des Staates Israel bleibe ein unantastbarer Pfeiler deutscher Politik, sagte Merkel. Wie ein roter Faden zog sich dieses Bekenntnis durch alle Gespräche, die die Kanzlerin im Stundentakt in Jerusalem führte.
Mit Bedacht hatte Merkel bei jedem Gespräch ihre Worte gewählt, um weder in Israel noch in Ramallah neue Gräben aufzureißen. Die Worte von Präsident Katzav klangen versöhnlicher als die des israelischen Verteidigungsministers Schaul Mofas. Israel wolle keine Eskalation, sagte Katzav. Dem konnte Merkel nur beipflichten. Die »Powerfrau« redete weniger und hörte mehr zu - in Jerusalem wie in Ramallah.

Artikel vom 31.01.2006