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Kenntnis aus klarer Sprache wiegt weniger als ein in 18 Jahren gefestigtes Vertrauen.

Leitartikel
Bernanke für Greenspan

Das Orakel
zieht
sich zurück


Von Bernhard Hertlein
Die Sphinx geht, die Ungewissheit kommt. Dabei gilt »Ben« Bernanke, der Nachfolger Alan Greenspans auf dem Chefstuhl der US-Notenbank Federal Reserve, als Mann der klaren Worte. Eigentlich wissen also die Amerikaner, wer von morgen an über den Werterhalt ihrer Dollars wacht. Doch Kenntnis aus klarer Sprache wiegt weniger als ein in 18 Jahren gefestigtes Vertrauen.
Greenspan steht länger als jeder andere an der Spitze der »Fed«. Jetzt, da er morgen mit 79 Jahren abtritt, hat er die US-Wirtschaft durch zwei Rezessionen begleitet. Er überzeugte als Krisenmanager, als trotz seiner Warnungen im März 2000 die durch den Boom der New Economy aufgeblähte Aktienblase platzte. Und er bestätigte den guten Ruf nach den Terrorangriffen des 11. September 2001. Greenspan erntete Kritik, als er im August 1994 aus Angst vor einer Inflation die Zinsen anhob. Knapp neun Jahre später drückte er sie zur Vorbeugung einer Deflation auf das niedrigste Niveau aller Zeiten.
Derzeit wächst die US-Wirtschaft solide. Sie schuf allein 2005 mehr als zwei Millionen neue Jobs. Trotz teurer gewordenen Öls ist die Inflationsrate auf einem noch erträglichen Niveau.
Es gibt Positionen in der Wirtschaft, da kann eine zu deutliche Sprache eine Lawine auslösen. Greenspan führte diejenigen, die an seinen Lippen hingen, lieber mit kreativen Wortschöpfungen und verschachtelten Satzreihen in die Rätselstube. Manche seiner Äußerungen glichen Orakelsprüchen. War es Greenspans Natur oder Berechnung, dass er immer etwas unberechenbar erschien? Auf jeden Fall war der »Magier« damit erfolgreich.
Bernard Bernanke, der sich mit einer beeindruckenden akademischen Laufbahn sowie politischen Ehren unter anderem als Leiter des Wirtschaftsberaterstabes von US-Präsident George Bush für das neue Amt empfiehlt, wird anders als Greenspan mehr Wert auf Offenheit und Berechenbarkeit legen. Bisherige Äußerungen deuten darauf hin, dass er Inflationsgefahren für geringer einschätzt als das Wirtschaftswachstum. Damit drängt er nicht unbedingt in die Rolle des Mahners gegen die Überschuldung der US-Staaten und ihrer Bürger.
Zu viel Sparsamkeit würde wohl auch die USA und in ihrem Sog die Weltwirtschaft zu rasch abbremsen. Allerdings deuten Meldungen, dass die Vereinigten Staaten erstmals mehr Zinsen an Ausländer zahlen als diese in Nordamerika investieren, eine Gefahr an, die nicht nur den Notenbanker alarmieren müsste. Mit dem Euro und -Êbei Wiedererstarken der japanischen Wirtschaft -Êmit dem Yen hat die US-Devise zudem Konkurrenz.
Die Billigproduzenten in China ziehen natürlich Produktion und damit Arbeitsplätze und Konsum auch aus den USA fort. Schon seit vielen Jahren stottert der Motor der amerikanischen Automobilindustrie. Dazu kühlte sich zuletzt auch der US-Immobilienmarkt ab. Gleichwohl wird sich Greenspan heute vermutlich mit einem Zinsschritt nach oben verabschieden. Für Bernanke aber bleibt künftig vieles neu zu bedenken.

Artikel vom 31.01.2006