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»Jesus will nicht Bewunderer, sondern Nachfolger haben«

Deutschland gedenkt des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers

Von Pastor Reinhard Ellsel
Bielefeld (WB). Sein Leben blieb Fragment. Er war nicht verheiratet. Er hatte keine Kinder. Er wurde nicht älter als 39 Jahre: Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945).

In Verantwortung vor Gott übernahm der Theologe eine aktive Rolle im Widerstand gegen Hitler und dachte dabei selbstlos an ein besseres Deutschland: »Denken und Handeln im Blick auf die kommende Generation, dabei ohne Furcht und Sorge jeden Tag bereit sein zu gehen - das ist die Haltung, die uns praktisch aufgezwungen ist und die tapfer durchzuhalten nicht leicht, aber notwendig ist.«
Wohl kein anderer evangelischer Theologe des 20. Jahrhunderts hat bis heute - weit über Deutschland hinaus - so tief in Kirche und Gesellschaft hinein gewirkt wie er.
Am 4. Februar 1906 wird Dietrich Bonhoeffer mit seiner Zwillingsschwester Sabine in Breslau geboren. Der Sohn eines Psychiatrie-Professors und einer lebhaften Pfarrerstochter wächst mit sieben Geschwistern im Berliner Villenviertel Grunewald auf. Mit 17 Jahren besteht der sensible und hochintelligente Dietrich das Abitur und entschließt sich, Evangelische Theologie zu studieren.
Nach Aussage seines Freundes und Biografen Eberhard Bethge hat Bonhoeffer in seinem Glaubensleben zwei große Wendungen erlebt.
Die erste Wende ist die vom Theologen zum Christen.
Zwar ist er bereits mit 21 Jahren Doktor der Theologie, mit 24 habilitiert und mit 25 Privatdozent an der Berliner Universität. Doch Bonhoeffer schreibt selbstkritisch im Rückblick: »Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher Weise. Ein Ehrgeiz, den manche an mir gemerkt haben, machte mir das Leben schwer. Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und gepredigt - und ich war noch kein Christ geworden. Ich hatte auch nie, oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung.«
Zu diesem Umschwung in seinem Denken kommt es während eines Studienjahres in New York. Hier findet der Theologe Antwort auf seine zentrale Frage: In welcher Gestalt kann die Kirche ein glaubwürdiges Zeugnis für Menschen sein, denen in moderner Zeit der christliche Glaube immer mehr abhanden kommt? Die biblische Bergpredigt öffnet ihm die Augen und nun hört und versteht er den befreienden Ruf des Auferstandenen: »Jesus will keine Bewunderer, sondern Nachfolger.«
Und Bonhoeffer entwickelt sich noch weiter: Mit zunehmendem Druck im Nazi-Deutschland spürt er, dass er seinen Glauben nicht in einem selbstgenügsam-christlichen Winkel ausleben kann.
Allmählich kommt es zur zweiten Wende in seinem Glaubensleben: Er entwickelt sich zum entschiedenen Zeitgenossen. Damit ist gemeint, was wir heute mit dem Begriff »Weltverantwortung« ausdrücken würden. Hellsichtig erkennt er die Gefahren des Nazi-Regimes und warnt bereits zwei Tage nach der so genannten »Machtergreifung« davor, dass der »Führer« zum »Verführer« werden könne. Vergeblich.
Auch seine Kirche vermag ihm in seinen hellsichtigen Auffassungen kaum zu folgen. Er leidet unter der aufkommenden Judenverfolgung. Als er im April 1933 auf einer Pfarrkonferenz die Möglichkeit erwägt, »nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen«, verlassen die meisten Amtsbrüder seinen Vortrag.
Als er später sieht, dass seine Mitbrüder im Pastorenamt von den Pogromen gegen die Juden so gut wie unberührt bleiben und nichts anderes zu tun haben, als über liturgische Fragen zu fachsimpeln, da hält er ihnen mit aller Schärfe entgegen: »Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen!«
Zusehends wird Bonhoeffer in dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat in die Illegalität gedrängt. Zunächst wird er Leiter eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Pommern.
Seine vielen ökumenischen Kontakte bilden dann eine Voraussetzung dafür, dass sich Bonhoeffer dem Widerstand gegen Hitler anschließt. Als Theologe und Christ und Zeitgenosse will er sich nicht aus der Verantwortung für die weitere Entwicklung in seinem Land heraus stehlen. Bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beginnt er ein riskantes Doppelleben. Offiziell arbeitet er für die »militärische Abwehr«. Tatsächlich informiert er im Ausland kirchliche Mittelsmänner über Putschpläne gegen Hitler.
Am 5. April 1943 wird er von der Gestapo verhaftet. In seiner Zelle im Militärgefängnis von Berlin-Tegel erfährt er vom misslungenen Staatsstreich am 20. Juli 1944. Kurz vor Kriegsende wird er am 9. April 1945 auf Befehl Hitlers zusammen mit anderen Widerstandskämpfern im Konzentrationslager Flossenbürg gehenkt. Seine letzten Worte, die uns überliefert sind: »Das ist das Ende - für mich der Beginn des Lebens.«
Autor Reinhard Ellsel ist Pfarrer in Bielefeld-Sennestadt

Artikel vom 02.02.2006