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Kopftuch verstößt nicht gegen Neutralität


Zu der Berichterstattung über die Ablehnung einer Schöffin, die während der Verhandlung ein Kopftuch tragen wollte, schreibt ein Leser:
Das Landgericht Bielefeld hat unlängst eine aus der Türkei stammende Frau, die zum ersten Mal als Schöffin an einem Verfahren mitwirken sollte, abgelehnt. Die gläubige Muslimin hatte sich zuvor geweigert, ihr Kopftuch in der Verhandlung abzunehmen, weil es ein Symbol ihres Glaubens sei. Der Vorsitzenden Richterin, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger kamen daraufhin Zweifel an der Neutralität der Frau, so dass der Prozess mit einer anderen Schöffin begonnen wurde.
Diese Entscheidung kann keine Schule machen. Zunächst ist richtig: Wer über andere urteilt, muss »über den Dingen stehen«, und seine Entscheidung nur aus der Sache selbst, unbeeinflusst von anderen Einwirkungen, schöpfen. Neben Weisungsfreiheit und persönlicher Unabhängigkeit sind daher Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Richters unerlässliche Voraussetzung eines jeden Verfahrens. In einem System normativer Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters muss aus diesem Grund Vorsorge getroffen werden, dass im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen oder abgelehnt werden kann.
Dieses Verfassungsgebot des Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz sichern die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit in der Strafprozessordnung; sie garantieren die unparteiische Neutralität des Richters als notwendiges Element des Rechtsstaats, dessen Aufgabe darin besteht, das Vertrauen des Bürgers in die Objektivität der Rechtsprechung zu fördern und dadurch die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen zu sichern. Befangenheit im Sinne der Strafprozessordnung ist ein innerer Zustand des Richters, der seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten, beeinträchtigen kann. Dieser Zustand kann in der Regel nicht bewiesen werden. Daher ist die Ablehnung schon begründet, wenn »ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen«.
Vor dem Hintergrund dieser rechtsstaatlich so bedeutsamen Grundsätze zeigt sich allerdings, dass die »Kopftuch-Entscheidung« des Landgerichts Bielefeld rechtlich nicht haltbar ist: Das Landgericht hätte die Frau zugelassen, wenn sie bereit gewesen wäre, ihr Kopftuch vor der Verhandlung abzunehmen. Mit dem Kopftuch hätte sie gewiss nicht ihre innere Einstellung, ihren Glauben, abgelegt. Das hätte und hat auch bestimmt niemand von ihr verlangt, denn das Grundgesetz schützt schließlich auch die Glaubensfreiheit von Richtern. So wie aber ihr Glaube gewissermaßen die ganz persönliche Einstellung dieser Frau ist, so ist ihr Kopftuch als Symbol ihres Glaubens einzig und allein ihre eigene Sache. Ihre Weigerung, es abzunehmen ist deshalb nur verständlich. Daraus ein Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit herzuleiten, ist durch nichts gerechtfertigt. Noch nie habe ich erlebt, dass ein Gericht das offene Tragen eines Christus-Kreuzes bei einem seiner Richter beanstandet hat. Auch das Kopftuch hätte vor dem Landgericht in Bielefeld von allen Verfahrensbeteiligten hingenommen werden müssen!
DR. SVEN GROTENDIEKRechtsanwaltBielefeld

Artikel vom 31.01.2006