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Von Michael Schläger

Bielefelder
Optik

Theorie und Praxis


Die Politiker entdecken die Familie. Im Bund, in den Ländern und neuerdings auch in der Kommune. Doch die Vorstellung, die die Parteien am Donnerstag im Rat boten, als es dort um den rot-grünen Antrag zur Einrichtung von Häusern der Familie in allen zehn Stadtbezirken ging, war eher traurig.
Natürlich ist die Idee bestechend, »in der Fläche« ein Angebot zu schaffen, das Kinderbetreuung auch bis weit in die Abendstunden hinein ermöglicht, sogar Hilfestellung bietet, wenn die Kinder berufstätiger Eltern erkranken, und auch ein Treffpunkt im Stadtteil ist. Doch »kostenneutral« für die Stadt, wie es sich die Antragsteller vorstellen, wird es nicht sein.
Das liebe Geld ist bei all den Vorschlägen, die in diesen Tagen gemacht werden, das große Problem. Was es zum Beispiel die Stadt kosten würde, Kita-Plätze unentgeltlich anzubieten, hat Sozialdezernent Tim Kähler diese Woche vorgerechnet: 7,5 Millionen - und hinzu kämen weitere Millionen, weil das Land Zuschüsse streichen will. Auch andere Angebote, mit denen Familien eigentlich unterstützt werden sollen, werden eher teurer denn günstiger, zum Beispiel die Betreuung in der offenen Ganztagsgrundschule. Die Elternbeiträge sollen mal eben um die Hälfte ansteigen.
Das Problem ist: Die Politik entdeckt die Familie Jahrzehnte zu spät. Bis heute müssen manche Eltern darum bangen, den passenden Kindergartenplatz zu bekommen. Auch die Betreuungsangebote in den Grundschulen fangen die Arbeitszeiten der Eltern nur bedingt auf. Es wird aller Orten Flickschusterei betrieben, weil in den Zeiten, in denen noch genug Geld vorhanden war, dieses lieber für vermeintlich Prestigeträchtigeres ausgegeben wurde.
Wenn sich die Politiker nun entschließen, mehr für die Familien zu tun, dann sollten sie sich vorher auch absprechen. Was nutzt es, wenn sich der Rat mit knapper Mehrheit für Häuser der Familie ausspricht, der Vorschlag bei der nächsten Sparrunde aber unter den Tisch fällt, weil er doch mit Kosten für die Stadt verbunden ist?
Nach wie vor klafft in der Familienpolitik eine gewaltige Lücke zwischen Theorie und Praxis. Dass in diesem Feld mehr getan werden muss, ist unbestritten. Aber die Frage wird künftig nur lauten können: Was geben wir auf, damit wir mehr Mittel für diesen Bereich zur Verfügung haben? Nur so sind ehrliche Lösungen möglich.

Artikel vom 28.01.2006