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Kirchturmpolitik kann
Probleme nicht lösen

»Lieber eine volle Kirche als zwei schlecht besuchte«

Bielefeld (bp). Für Verständnis und gegen eine buchstäbliche Kirchturmpolitik als Reaktion auf die Entscheidung des Bevollmächtigtenausschusses der Neustadt Mariengemeinde, Verkaufsverhandlungen für das Paul-Gerhardt-Zentrum aufnehmen zu wollen (das WESTFALEN-BLATT berichtete mehrfach) werben Klaus-Peter Johner, Verwaltungsleiter des Kirchenkreises Bielefeld, Pfarrer Alfred Menzel, Kirchmeister Rolf Kriete, Horst Haase als Mitglied des Kreissynodalvorstandes und Dr. Folker Janssen, Mitglied des Bevollmächtigtenausschusses.

Die beiden Gemeinden Neustadt Marien und Paul Gerhardt haben sich zum 1. Mai 2005 zusammen geschlossen. Man habe zwar das Paul Gerhardt-Zentrum nicht offensiv zum Verkauf angeboten, begreife das Kaufinteresse der Jüdischen Kultusgemeinde aber als eine Lösung, die so ein zweites Mal nicht zu erwarten sei. Pastor Menzel: »Sollten die Verhandlungen zu einem Verkauf führen, bleibt das Zentrum ein Ort religiösen Lebens.« Gleichzeitig macht er deutlich, dass angesichts der Finanzsituation des Kirchenkreises zwei Gemeindezentren - Neustadt Marien und Paul Gerhardt - »im Abstand von eineinhalb Kilometern keinen Sinn« machen würden. Klaus-Peter Johner betont, dass Kirche über Gemeinde- und Bezirksgrenzen hinaus denken, die Situation der Gesamtkirche wahrnehmen müsse.
Horst Haase vertritt die Überzeugung, dass ein gut besuchtes Gotteshaus an einer Stelle besser sei als zwei schlecht besuchte Gotteshäuser an zwei Stellen: »Man muss sich der Wirklichkeit stellen.« Als die Paul-Gerhardt-Gemeinde in den 1960er Jahren gegründet wurde, zählte sie mehr als 3300 Gemeindeglieder, jetzt sind es 1565. Haase weist darauf hin, dass die Kirche die Pflicht zu einem ausgeglichenen Haushalt habe: »Der laufende Haushalt darf nicht, anders etwa als bei Kommunen, über Kredite finanziert werden.« Dr. Folker Janssen meint, ein möglicher Verkauf des Zentrums sei »nicht vom Himmel gefallen, sondern immer schon Problemlösungsstrategie« gewesen.
Pastor Menzel macht deutlich, dass er die Idee derer, die die Initiative zur Gründung eines Fördervereins zum Erhalt des Paul-Gerhardt-Zentrums ergriffen haben, respektiere. Es sei jedoch unsinnig, in etwas zu investieren, was auf Dauer keinen Bestand habe: »Das Zentrum ist nicht zu halten.« Der Förderverein wollte für die jährlichen Betriebskosten des Zentrums - 25 000 Euro - aufkommen. Das Bevollmächtigtengremium hält es für zukunftsweisender, würden die Mittel Arbeitsbereichen zugeführt, die der Unterstützung dringend bedürfen. Menzel: »Ich denke beispielsweise an die Kinder- und Jugendarbeit, für die die Stelle der Hauptamtlichen 2007 ausläuft.« Der Akzent dürfe jetzt nicht auf die »Infrastruktur« der Kirche gesetzt werden, sondern auf das religiöse Leben. Haase spricht Klartext: »Um in Gefühle zu einem Bauwerk zu finanzieren, fehlt uns das Geld.«
Ausdrücklich versichert wurde, dass die Gemeindearbeit im Paul-Gerhardt-Bezirk fortgesetzt werde. Das ehemalige Pfarrhaus an der Diesterwegstraße werde zu diesem Zweck umgebaut. Klaus-Peter Johner: »Das sind Kosten zwischen 10 000 und 15 000 Euro - alles anderen Zahlen, die zurzeit herum schwirren, sind aus der Luft gegriffen.«
Die Zustimmung des jüdischen Landesverbandes, in Verkaufsverhandlungen einzutreten, liege vor und, so betonte Johner, es würden »keine Verschenk- sondern echte Verkaufsverhandlungen«: »Eine Ein-Euro-Lösung gibt es nicht.«
Für Pastor Menzel wäre eine Synagoge im heutigen Paul-Gerhardt-Zentrum nicht zuletzt ein Zeichen dafür, dass »jüdisches Leben in Bielefeld toleriert wird«: »Das steht der Stadt gut zu Gesicht.«
In der nächsten Woche versendet der Bevollmächtigtenausschuss an alle Haushalte des Paul Gerhardt-Bezirkes Briefe, in denen die Entscheidung ausführlich begründet und dazu eingeladen wird, »den Weg gemeinsam zu gehen«. Pastor Menzel: »Es geht um den Frieden in der Gemeinde.«

Artikel vom 28.01.2006