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Bertelsmann soll an die Börse

Group Bruxelles Lambert will ihren Anteil an den Kapitalmarkt bringen

Von Stephan Rechlin
und Dietmar Kemper
Gütersloh (WB). Die Bertelsmann AG, Europas größter Medienkonzern, geht an die Börse. Im kommenden Jahr will die Groupe Bruxelles Lambert (GBL) ihren 25-prozentigen Anteil am Konzern an den Kapitalmarkt bringen.

In einer Ad-hoc-Mitteilung teilte die GBL am Freitag morgen mit, die im Vertrag mit Bertelsmann ausgehandelte Möglichkeit nutzen zu wollen, sobald die Bedingungen dafür günstig seien. Dem Vertrag nach kann die GBL ihre Anteile von Ende Mai an an die Börse bringen. GBL-Geschäftsführer Thierry de Rudder kündigte an, den Börsengang im kommenden Jahr ins Auge fassen zu wollen.
Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, reagierte gelassen auf die Ankündigung aus Brüssel: »Wir sind auf einen Börsengang vorbereitet.« Die Lenkung des Unternehmens erfolge inzwischen auf Grund international anerkannter Steuerungsgrößen. Der Konzernabschluss werde nach den International Financial Standards (IFRS) erstellt. In einem Brief an die Mitarbeiter kündigte Thielen an, dass weder die Bertelsmann Stiftung (57,6 Prozent) noch die Familie Mohn (17,3 Prozent) beabsichtigen, ihre Anteile an die Börse zu bringen: »Somit bleibt die bewährte partnerschaftliche Unternehmenskultur erhalten.«
Im vergangenen Jahr gliederte Bertelsmann seine Pensionsverpflichtungen in einen Fonds aus - das erleichtert nun die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz für den Börsengang. Im Stab wurde eine Stelle für »Investor Relations« eingerichtet. Thielen kündigte am Freitag die Überarbeitung der hausinternen Unternehmens-Verfassung, der »Essentials«, an. In ihnen wird künftig unter anderem eine »das Wachstum und die Kontinuität des Unternehmens sichernde Verzinsung« angestrebt.
Die GBL hatte die Bertelsmann-Anteile im Februar 2001 im Tausch gegen ihren 30-prozentigen Anteil an der RTL-Group erhalten. Im damals ausgehandelten Vertrag wurde der Familie Mohn ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Im Frühjahr 2005 hatte Liz Mohn erklärt, einen Anteilsverkauf von GBL nicht verhindern zu wollen. Auch Gunter Thielen schloss einen Rückkauf der Anteile aus: »Warum sollten wir die Firma schwächen, um die Anteile zurückzukaufen?«
Analysten schätzen den Wert der Bertelsmann AG auf bis zu 20 Milliarden Euro. Die GBL-Anteile dürften damit auf einen Wert von mindestens fünf Milliarden Euro kommen. Trotz der Vorbereitung wurde Bertelsmann von der Ad-hoc-Nachricht überrascht. Noch im Dezember waren der ehemalige Finanzvorstand Siegfried Luther und Thielen davon ausgegangen, dass es keine Anzeichen für einen möglichen Börsengang gebe.
Bereits auf dem Parkett gehandelt werden Genussscheine von Bertelsmann. Viele Mitarbeiter haben sie erworben und verdienen gut damit. Für den »Genussschein 2001« mit einem Wert von 498,6 Millionen Euro erwartet die Bertelsmann AG eine Rendite von 15 Prozent. In der Finanzwelt genieße der Medienkonzern aus Gütersloh einen »sehr guten Ruf«, sagte Marc Tümmler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf am Freitag dieser Zeitung. Der Börsengang sei dem Unternehmen zuträglich und werde den Wert steigern. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Bertelsmann AG eine Umsatzrendite von neun Prozent. Für strategisch denkende Investoren sei der Konzern nicht geeignet, betonte Aktionärsschützer Tümmler, weil die Einflussnahme wegen der Beteiligungsverhältnisse (Familie Mohn, Bertelsmann Stiftung und GBL) stark eingeschränkt sei: »Die Machtverhältnisse werden durch einen Börsengang nicht verschoben.«

Artikel vom 28.01.2006