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EU und USA fordern: Hamas
soll der Gewalt abschwören

»Existenzrecht Israels muss anerkannt werden« - Merkel nach Nahost

New York/Ramallah (dpa). Nach dem Sieg der Hamas-Bewegung bei der palästinensischen Parlamentswahl haben Regierungen und internationale Organisationen die Islamisten am Freitag zum Gewaltverzicht aufgefordert.

Es gebe einen »fundamentalen Widerspruch zwischen den Aktivitäten bewaffneter Gruppen und Milizen und dem Aufbau eines demokratischen Staates«, hieß es in einer in New York verbreiteten Erklärung des aus UN, USA, EU und Russland gebildeten Nahostquartetts. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas traf US-Vertreter zu Gesprächen und erklärte danach: »Ich werde den Sieger der Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen.«
Der Hamas-Führer Ismail Hania sagte in der Stadt Gaza, er wolle sich in den kommenden Tagen mit Abbas treffen, um über die künftige Regierung zu beraten. Die Hamas hatte bei der Wahl eine absolute Mehrheit von 76 der 132 Sitze errungen und damit die bisher regierende Fatah von der Macht verdrängt.
Die radikal-islamische Organisation steht auf den Terrorlisten der USA und der EU. Eine Zwei-Staaten-Lösung des Nahost-Konflikts verlange von allen Beteiligten einen Verzicht auf Gewalt und Terror, hieß es in der Erklärung des Nahostquartetts. Das Existenzrecht Israels müsse anerkannt werden.
Der amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert sagte, eine von Hamas gebildete Palästinenserregierung könne nicht Partner sein. »Wenn eine palästinensische Regierung mit der Beteiligung von Hamas gebildet wird, wird die palästinensische Autonomiebehörde zu einer terroristischen Behörde. Israel und die Welt werden sie ignorieren und irrelevant machen«, sagte er.
Dagegen erklärte die Sozialistische Internationale, Hamas müsse eine Chance gegeben werden. »Wir erwarten, dass die neue Regierung den Weg des Friedensprozesses einschlägt«, sagte SI-Generalsekretär Luis Ayala.
Die Führung der palästinensischen Fatah-Organisation geriet nach der schweren Niederlage unter zunehmenden Druck. Der Fatah-Politiker Samir Mascharawi forderte in Gaza den Rücktritt des Zentralkomitees. Dieses müsse die Verantwortung für das Scheitern bei der Wahl übernehmen.
In der Nacht hatten in Ramallah hunderte bewaffnete Fatah-Anhänger auch vor dem Haus von Abbas demonstriert. Sie schossen in die Luft und forderten seinen Rücktritt. In Chan Junis im Gazastreifen gab es nach dem Freitagsgebet in einer Moschee mehrere Verletzte bei einer Schlägerei zwischen Anhängern der Fatah und der Hamas.
Die israelische Außenministerin Zipi Liwni telefonierte nach dem Sieg der Hamas mit mehreren westlichen Kollegen. Nach israelischen Berichten machte Liwni in den Gesprächen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice, dem EU-Chefdiplomaten Javier Solana, der österreichischen Außenministerin und EU-Ratsvorsitzenden Ursula Plassnik, sowie dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier klar, dass Hamas für Israel kein Gesprächspartner sei.
Israelische Soldaten erschossen am Donnerstag ein zehn Jahre altes Mädchen in der Nähe des Sperrzauns zum nördlichen Gazastreifen. Wie die Zeitung »Jerusalem Post« unter Berufung auf israelische Militärangaben berichtete, feuerten die Soldaten auf eine unbekannte Person, die mit einer großen Tasche versucht habe, den Sicherheitszaun zu überwinden.
Jeder zehnte ins neue Palästinenserparlament gewählte Kandidat sitzt in israelischer Haft. Insgesamt 14 von 132 neuen Abgeordneten werden deswegen nicht in das Parlament einziehen können, wie die palästinensische Gefangenenorganisation »Mandela Institute for Human Rights« am Freitag erklärte. Unter den Inhaftierten sind zwölf gewählte Kandidaten der radikal-islamischen Hamas.
Die EU hat im vergangenen Jahr 280 Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Palästinenser bezahlt. Ein großer Teil davon floss für humanitäre Projekte, beispielsweise im Rahmen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UN). Allein 35 Millionen Euro waren für soziale Dienste in den Palästinensergebieten vorgesehen, unter anderem für Krankenhäuser und Hilfen für die ärmsten Bevölkerungsschichten.
Wenn die 25 EU-Außenminister am Montag in Brüssel zusammen kommen, dann werden sie sich vorsichtshalber wohl alle Optionen offen halten. Diplomaten erwarteten eine Erklärung, in der die Minister die künftige Palästinenser-Regierung zu Demokratie, Menschenrechten und der Anerkennung Israels auffordern, ohne ausdrücklich mit einem Ende der EU-Finanzhilfe zu drohen.
Als erste Regierungschefin eines EU-Staates reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Hamas-Sieg am Sonntag in die Krisenregion. Ihr Antrittsbesuch führt sie nach Israel und in Autonomiegebiete. Sowohl in Jerusalem als auch in Ramallah will sie für eine Fortführung des Friedensprozesses werben - und der künftigen palästinensischen Führung im Namen der Europäischen Union (EU) Bedingungen stellen: Nur wenn sie das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber anerkenne, jeglicher Gewalt abschwöre und alle bisherigen Vereinbarungen im Friedensprozess einhalte, sei die EU zur weiteren Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde bereit, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Freitag in Berlin.

Artikel vom 28.01.2006