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Jugend sucht wieder die Religiosität

Pater von Gemmingen mahnt: »Wir dürfen dabei nicht Zuschauer sein«

Von Dirk Schröder
Detmold (WB). »Die Situation ist dramatisch.« Diese Antwort gibt Pater Eberhard von Gemmingen auf die Frage, ob es in Deutschland und Europa ein neues religiöses Aufblühen gibt.
»Uns ist noch zu helfen«: Eberhard von Gemmingen.
Auch wenn es ein paar religiöse Blütchen auf der europäischen Wiese gebe, dürften wir uns nichts vormachen, mahnte der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan am Freitagabend in Detmold auf einer Veranstaltung des »Liberalen Netzwerks« Lippe. Uns sei aber noch zu helfen, wenn wir die Dramatik der Situation erkennen würden.
Hoffnung setzt der Pater dabei auf die Jugend, die offenbar wieder mehr als früher Religion, Glaube und sogar Kirche suche. Von Gemmingen führt für diese Beobachtung mehrere Belege an. Er erinnert an den Strom von Menschen, die sofort nach der Nachricht vom Tod von Papst Johannes Paul II. nach Rom gefahren seien, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Viele von ihnen seien um die 20 Jahre alt gewesen.
»Sie mussten von jetzt auf gleich ihre Koffer packen, ihren Arbeitgeber anrufen, dass sie fehlen, dann einen Zug oder einen Flug buchen, und weg. Und in Rom hatten sie keine Unterkunft.« Der Pater ist überzeugt, dass hinter diesem Sturm auf Rom mehr Ernst stand als bei manchem Papst-Besuch. Den Drang, den toten Papst zu sehen und zu ehren, dahinter habe schon eine religiöse Suche gestanden.
Als weiteren Beleg führt von Gemmingen den Weltjugendtag in Köln an. »Kaum zu glauben, in dem mehr oder weniger heidnischen oder gottfernen Deutschland sind hunderttausende junger Leute unterwegs zu Kirchen, zum Beten, zum Beichten, zum Austausch über religiöse Fragen, um Katechesen von Bischöfen zu hören.«
Die allermeisten Jugendlichen hätten kaum einen Unterschied gemacht zwischen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Für sie ist er einfach der Papst, der Mann in Weiß. Und der Mann in Weiß sei eben für viele Jugendliche ein Mann Gottes. Daher, so von Gemmingens Schlussfolgerung, habe der Wunsch, den Papst nicht nur im Fernsehen zu sehen, sondern in Wirklichkeit, etwas mit Gott, etwas mit Religion zu tun.
Pater von Gemmingen zitiert in diesem Zusammenhang den Hamburger Gesellschaftsforscher Horst Opaschowski, für den die Jugendlichen »Trendpioniere eines neues Lebensgefühl sind, für die auch die Religion wieder dazu gehört«. So hätten Opaschowski auch die Massen vor dem toten Papst nicht überrascht.
Und wenn der Bielefelder Soziologe Klaus Hurrelmann auch davor warne, aufgrund des Weltjugendtages von einem Wiederaufleben der Religiosität zu sprechen, so meine er dennoch, durch den Papstbesuch habe sich etwas verändert. Jugendliche wagten es, von ihrer Religiosität zu sprechen, sich dazu zu bekennen.
Über diese Entwicklung könne man sich freuen. Von Gemmingen warnt aber davor, nur Zuschauer zu sein. Denn es stehe mehr auf dem Spiel, als ein paar Papst-Besuche oder weniger gefüllte Kirchen. Es gehe um die Zukunft Europas. Nicht nur der Islam stehe vor der Haustür, auch China und Indien stünden in den Startlöchern. Sie seien bereits heimlich-still und leise nach Afrika, Asien und Amerika gesprungen. Mit harter Arbeit und ihrer Art zu denken, zu handeln, die nicht immer den europäischen Grundwerten entspreche.
Von Gemmingen: »Große europäische Heilige wie Benedikt, Franz von Assisi, Ignatius von Loyola oder Personen wie Edith Stein, Clemens August von Galen oder Dietrich Bonhoeffer würden uns vielleicht fragen: Verspielt ihr gerade das, wofür wir gestorben sind?« Des Paters Bitte: Schaut auf die Jugend, die die Krankheit der Zeit feinfühliger erkennt. Die Jugend zeigt euch: Ohne Gott kann man zwar leben und überleben. Aber mit Gott lebt man besser, mit Gott hat das Leben Sinn.«

Artikel vom 28.01.2006