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Zu schnelle
Einweisung in Psychiatrie

Studie: Abhilfe dringend nötig

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). In Deutschland werden Menschen zu schnell gegen ihren Willen in psychiatrische Krankenhäuser eingewiesen. In Großstädten könnten 30 Prozent der Zwangseinweisungen vermieden werden, wenn sich Krisenhilfe und Unterbringungspraxis änderten.

Zu diesem Schluss kommt Professor Dr. Michael Regus von der Universität Siegen in einer aktuellen Psychiatriestudie. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat bereits angekündigt, die Verfahrensabläufe, die zu zwangsweisen Einweisungen führen, genau unter die Lupe zu nehmen. Das Ministerium werde den Kommunen Hilfe anbieten.
Nach Angaben von Professor Regus müssten in Deutschland jährlich 150 000 bis 200 000 Menschen freiheitsbeschränkende Maßnahmen über sich ergehen lassen. Nach einer Studie der EU-Kommission liege Deutschland mit einer Quote von 1,75 Einweisungen auf 1000 Einwohner nach Finnland (Quote 2,18) gemeinsam mit Österreich auf Platz zwei in Europa.
Wenn die akute Notfallhilfe verbessert werde, ließe sich die Quote deutlich senken, sagte Regus dieser Zeitung. Vor allem in Ballungszentren sei die Quote deutlich überhöht. Die Patienten müssten dann nicht mehr gefesselt und mit Blaulicht in die nächste Psychiatrie gebracht werden. Mit Fachkräften besetzte Krisennotdienste, wie es sie zum Beispiel in Münster, Bielefeld oder Gütersloh gebe, seien noch immer die Ausnahme.
Allein in NRW würden jährlich bis zu 50 000 Menschen entweder nach dem Landesgesetz für Psychisch Kranke (PsychKG) oder dem bundesweit geltenden Betreuungsrecht (BtR) zwangseingewiesen. Das BtR kenne auch sogenannte unterbringungsähnliche Maßnahmen, mit denen Menschen in Anstalten, Heimen und Krankenhäusern über längere Zeit oder regelmäßig die Freiheit entzogen werde. Dies bedeute Fesseln der Hände und Füße ans Bett, Ruhigstellen mit Medikamenten sowie Isolation. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen habe festgestellt, dass in Altenpflegeheimen in NRW ein Drittel aller vorübergehenden Zwangsmaßnahmen ohne richterliche Bestätigung erfolge. In vielen dieser Fälle werde willkürlich gehandelt. Regus: »Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden!«

Artikel vom 28.01.2006