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Halle fällt wie ein Kartenhaus

Überlebender: »Das war die Hölle« - Notausgänge nicht zu öffnen?

Von Eva Krafczyk
Kattowitz (dpa). Als die Sirenen der Rettungswagen verstummten, gab es keine Hoffnung mehr. . .
Dieser belgische Besucher der Brieftaubenausstellung überlebte die Katastrophe. Foto: Reuters

Die ganze Nacht zum Sonntag hindurch standen Dutzende von Krankenwagen mit rotierenden Blaulichtern um die Ruinen der Messehalle im oberschlesischen Kattowitz. Immer wieder zwängten sich Notärzte und Sanitäter durch die eilig im Stahlgewirr freigeschweißten Lücken. Doch fünf Stunden, nachdem die ersten der 141 Verletzten in die Krankenhäuser gebracht worden sind, verstummten die Sirenen. Jetzt verließen nur noch Leichenwagen das Messegelände.
»Als es passierte, saßen wir genau in der Mitte an einer Tischreihe«, erzählt der deutsche Messebesucher Axel Völlmer. Er sah das Unheil auf sich zukommen. »Das Licht fiel aus, und das Dach fing an, sich von der Seite abzulösen«, erzählt er. Es habe Blechteile geregnet, die wie von einer gewaltigen Kraft zerknüllt gewesen seien. Völlmer überlebte unter einem eingebeulten Dachteil.
Auch Marian Pacud gehörte zu denen, die Glück hatten. »Ich hörte ein Geräusch und schaute nach oben, und da kam die Decke auch schon herunter.« Pacud trieb Frau und Tochter zur Eile an, sie konnten sich noch aus der einstürzenden Halle retten, doch er selbst wurde von etwas getroffen und verlor das Bewusstsein. »Als ich zu mir kam, war ich verschüttet und rief: Zieht mich raus, zieht mich raus!«, sagte er. Deutsche Besucher berichteten später, Notausgänge der Halle hätten sich schon am Freitag nicht öffnen lassen.
»Alles geschah in Sekunden«, schilderte eine Überlebende, die mit Kopfverletzungen in einem Kattowitzer Krankenhaus liegt. »Ich hörte Schreie und begann zu laufen. Die Halle ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.« Helfer und Überlebende bezeichneten die Szenen am Unglücksort als Albtraum. »Das war die Hölle«, sagte ein Mann, der erst am späten Abend aus den Trümmern der verbogenen und geborstenen Stahlkonstruktion geborgen wurde, mit zitternder Stimme.
Das Unglück während der internationalen Brieftaubenausstellung »Taube 2006« ist die schlimmste derartige Katastrophe im polnischen Bauwesen. Es wird vermutet, dass das Dach der Messehalle unter dem Druck der Schneemassen nachgab und einstürzte. Die Verantwortlichen der Messefirma versichern zwar gestern, das Dach sei regelmäßig von Schnee geräumt worden, doch Gäste eines nahe gelegenen Hotels berichteten, tatsächlich sei nur ein Drittel des riesigen Daches sei vom Schnee befreit worden. Alles hätte noch viel schlimmer enden können, glaubt Daniel Dudzik vom slowakischen Brieftaubenzüchterverband. »In den Mittagsstunden waren bis zu 15 000 Menschen in der Halle, dann wäre die Zahl der Opfer noch größer gewesen.«
In Kattowitz und in der ganzen Bergbauregion, in der Solidarität traditionell zählt, löste das Unglück eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Dutzende spendeten Blut, andere brachten Decken und heiße Getränke zu den Absperrungen am Unglücksort. An den Rathäusern des polnischen Kohlereviers hängen die rot-weißen polnischen Fahnen mit einem Trauerflor. Mit Grubenunglücken haben die Oberschlesier traurige Erfahrung gesammelt. Dass diese Katastrophe ausgerechnet im Zusammenhang mit dem bei den Kumpels so beliebten Brieftaubensport steht, können viele von ihnen nicht fassen.

Artikel vom 30.01.2006