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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Jakob, der dritte Stammvater Israels, war alles andere als ein Vorbild. Zweimal hatte er seinen Bruder Esau überlistet. Als dieser einmal ausgehungert von der Jagd kam und nichts anderes im Sinn hatte, als sich den Bauch vollzuschlagen, nutze Jakob die Gelegenheit, ihm sein Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht abzukaufen.
Auf Anstiften seiner Mutter Rebekka erschlich er sich außerdem noch den väterlichen Segen. Da Esau sich geschworen hatte, ihn dafür umzubringen, wurde ihm der Boden unter den Füßen zu heiß, und er floh ins Ausland, nach Haran, einer Stadt in der Gegend des Euphrat.
Dort lebte sein Onkel Laban, Bruder seiner Mutter. In diesem schien er zunächst seinen Meister in Schlitzohrigkeit gefunden zu haben. Laban nämlich hatte zwei Töchter, Lea und Rahel. In die jüngere von beiden verknallte sich Jakob sofort; denn sie sah blendend aus. Lea dagegen war ein häßliches Mauerblümchen mit trüben Augen. Nun war Jakob so sehr an Rahel interessiert, daß er seinem Onkel anbot, sieben Jahre unentgeltlich für ihn zu arbeiten, nur gegen Kost und Logis, wenn er sie dafür zur Frau bekäme.
Damit war Laban auch einverstanden, und als die sieben Jahre herum waren, wurde die Hochzeit groß gefeiert. Weil die Braut aber bis zur Hochzeitsnacht verschleiert blieb und die Hochzeitsnacht bei den damaligen Verhältnissen dunkel war, bemerkte Jakob erst am anderen Morgen die Bescherung: Man hatte ihm Lea ins Bett gelegt. Beschwerden halfen nicht; denn Laban stellte sich auf den Standpunkt, zuerst würde die ältere verheiratet, so sei es nun einmal Sitte. Jakob könne Rahel aber außerdem haben, und zwar recht bald, müsse dafür allerdings noch weitere sieben Jahre dienen. Das ließ sich immerhin hören.
In dieser Zeit erwies sich Jakob als geschickter Viehzüchter, der den Reichtum Labans erheblich vermehrte. Außerdem vergrößerte sich seine Familie. Es kamen noch zwei Nebenfrauen hinzu, und die Schar seiner Söhne - von Töchtern ist nicht die Rede - wuchs auf zwölf. Als Jakob sich dann endlich - und zwar in seiner Heimat - selbständig machen wollte, sah selbst Laban ein, daß dies ohne Besitz nicht möglich wäre. Dabei sollte sich indessen erweisen, daß der Neffe am Ende doch der Schlauere war. Durch einen raffinierten Plan, den Laban nicht durchschaute, und durch komplizierte Züchtungsmethoden gelang es Jakob, die starken und gesunden Jungtiere an sich zu bringen, während der kümmerliche Rest bei Laban blieb.
Da fragt man sich, wie lange Gott diesem Treiben eigentlich zusehen will. Aber von Gott ist in dieser Geschichte weithin gar nicht die Rede. Gott hält sich im Hintergrund verborgen. Das ist eine Erfahrung, die nicht erst in der Moderne gemacht wird. Aber wichtiger noch: Gott paßt nicht in das Klischee, daß er die Menschen für ihre Verfehlungen büßen läßt oder sie dafür auf jeden Fall bestraft. Jakob geht straflos aus; denn Gott ist kein Rachegott.
Allerdings ist da noch eine Hürde für ihn zu nehmen. Er will ja dorthin zurück, wo auch Esau lebt, von dem er nach wie vor nichts Gutes zu erwarten hat. Er teilt daher seine Herde, damit seinem Bruder, der vierhundert Mann um sich geschart hat, nicht gleich alles in die Hände fällt. Doch in der Nacht vor seiner Begegnung mit ihm hat Jakob einen merkwürdigen und geheimnisvollen Kampf zu führen: Ein Unbekannter ringt mit ihm bis in die Morgenröte und schlägt ihm dabei so auf das Hüftgelenk, daß es sich dabei ausrenkt.
Was mag der Sinn dieser Begebenheit sein? Einer, der annahm, seiner Vergangenheit entfliehen zu können, wird gezwungen, sich ihr zu stellen. Er wird nicht genötigt, etwas wieder gut zu machen. Aber er muß sich mit sich selbst und seinem Leben auseinandersetzen.
Das ist zwar schmerzhaft, aber im Grunde ein Segen für ihn, eine Gottesstunde. Denn er meint, in seinem Gegenüber Gott zu erkennen. Nach diesem Kampf brauchte er Esau nicht mehr zu fürchten; denn der war inzwischen versöhnt (nachzulesen: 1. Mose/Genesis, Kapitel 29-33).

Artikel vom 28.01.2006