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»Meine Stimme für Hamas ist
die Reaktion auf die Korruption«

Viele Palästinenser machen die Fatah auch für die Armut verantwortlich

Von Carsten Hoffmann
und Saud Abu Ramadan
Gaza (dpa). Die Anhänger der radikal-islamischen Hamas hielten gestern ihre Freude über den Sieg bei der Parlamentswahl nicht mehr zurück. In der Stadt Gaza stieg schon Stunden vor Einbruch der Dunkelheit Feuerwerk in den Himmel.

Nach dem Wahlsieg haben Anhänger der Hamas gestern gewaltsam versucht, die grüne Fahne ihrer Bewegung über dem Parlament in Ramallah zu hissen. Es gab Zusammenstöße mit Fatah-Anhängern. Bewaffnete Mitglieder der Hamas und der Fatah machtem dem Treiben ein Ende.
iele Wähler haben nun große Erwartungen. Die Islamisten sollen mit Missständen aufräumen. Mit diesem Versprechen ist die Hamas, die als Liste für Veränderung und Reform angetreten ist, auch in den Wahlkampf gezogen. Geschickt hat die frühere Untergrundorganisation die chaotische Lage im Gazastreifen und Teilen des Westjordanlandes für ihren politischen Erfolg genutzt.
Während sich Milizen der Fatah an Ausschreitungen beteiligten, gelten die Islamisten Umfragen zufolge als Experten für »innere Sicherheit« und den Kampf gegen kriminelle Machenschaften.
»Meine Stimme für Hamas ist eine Reaktion auf Chaos und Korruption, die sich in den vergangenen Jahren in Gaza und dem Westjordanland verbreitet haben«, sagt Abdel Rauf Salama (55) in der Stadt Gaza. »Auch hinter der Armut und der Arbeitslosigkeit steckt die palästinensische Autonomiebehörde«, sagt er. Ahmed Hersalla (35) erwartet, dass Hamas offensiv gegen Mord, Vetternwirtschaft und Chaos vorgeht. »Ich habe für Hamas gestimmt, um mich an der Fatah für die Verbrechen zu rächen, die sie am Volk begangen haben«, sagt er. Auch Mohammed Asam (36), ein früheren Fatah-Anhänger, hat für die Islamisten gestimmt. Fatah sei lange genug an der Macht gewesen, ohne die Erwartungen der Menschen zu erfüllen.
Die Hamas-Führung selbst ist über die überwältigende Zustimmung der palästinensischen Wähler nicht erstaunt. Bei Wahlen in Studentenvertretungen und Gewerkschaftsorganisationen haben Hamas-Leute seit Jahren große Erfolge erzielt. Auf tödliche Anschläge gegen Israel und ein eigenes Netz aus Wohlfahrtsstellen hat die Hamas ihre Unterstützung gegründet. Dass Israel die wichtigsten Führer der Bewegung, darunter den Gründer Scheich Ahmed Jassin, mit Raketenangriffen tötete, nutzte die Hamas im Wahlkampf ebenfalls für sich aus.
Seit einem Jahr verzichtet die Hamas auf Selbstmordanschläge in Israel. Ein Kurswechsel sei das nicht, sagt Hamas-Führer Said Siam. Verhandlungen mit Israel seien aber kein Tabu mehr. In der Wahlkampfplattform verzichtet Hamas zwar auf das Ziel der Zerstörung Israels. Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri sagt aber: »Dies ist ein taktischer, kein strategischer Schritt.« Auch eine Entwaffnung komme nicht in Frage. Hamas-Führer verweisen darauf, dass nicht nur ihre Organisation einen bewaffneten Flügel habe.

Artikel vom 27.01.2006