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Alles über Middelhoffs Abgang

Wirtschaftsjournalist Michael Jungblut legt neues Bertelsmann-Buch vor

Von Stephan Rechlin
und Wolfgang Wotke (Foto)
Gütersloh (WB). Es war doch nicht Liz Mohn allein. Und auch die Ermittlungen der amerikanischen Börsenaufsicht wegen Unregelmäßigkeiten im AOL-Geschäft haben vor vier Jahren nicht zur Entlassung von Thomas Middelhoff bei der Bertelsmann AG geführt. »Es waren zwei schwelende Konflikte, die schließlich offen ausbrachen«, sagt der ehemalige ZDF-Moderator Michael Jungblut (69), Autor des neuesten Buches über den Medienriesen.

In der Abwicklung millionenschwerer Geschäfte sei Bertelsmann spätestens seit der Ära von Mark Wössner geübt. Die Verhandlungen über eine Fusion mit Springer (1969/70), der Einstieg bei Bantam Books (1977), die Übernahme der Ufa Film- und Fernseh-GmbH, die Beteiligung an RTL plus (1984), der Erwerb des Musiklabels RCA und des amerikanischen Verlagshauses Doubleday (1984) - allĂ• die großen Geschäfte seien bei Bertelsmann stets juristisch und finanziell auf Herz und Nieren geprüft worden.
Zur Übernahme von Doubleday etwa seien Gutachten zu verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungsverläufen erarbeitet worden. Im Falle eines Totalverlustes habe Reinhard Mohn mit seinem Privatvermögen für die weitere Bedienung der Bertelsmann-Genuss-Scheine gerade stehen wollen.
»Mit dieser Tradition brach Thomas Middelhoff«, stellt Michael Jungblut fest. Die großen Geschäfte im Internet-Hype seien keineswegs so berechnet und abgesichert gewesen wie es sonst bei Bertelsmann üblich gewesen sei. Mit der immer höher kletternden Investitionssumme sei das Unbehagen in Vorstand und Aufsichtsrat gewachsen. Doch Middelhoff habe das uneingeschränkte Vertrauen Reinhard Mohns genossen.
Zwei Leute hätten das Blatt gewendet. Als aus dem Unbehagen offenes Misstrauen wurde, habe Liz Mohn die internen Kritiker zu Reinhard Mohn vorgelassen - unter ihnen Finanzchef Dr. Siegfried Luther und Dr. Gunter Thielen. Darüber hinaus habe sich die Rivalität zwischen Middelhoff und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen irgendwann in eine persönliche Gegnerschaft gewandelt. Im Streit um den künftigen Weg Bertelsmanns habe Middelhoff immer wieder darauf hingewiesen, welche anderen beruflichen Optionen ihm noch offen stünden. »Ein taktischer Fehler«, urteilt Jungblut.
Der Bertelsmann-Konzern habe ihn nicht zuletzt wegen der für deutsche Firmen völlig untypischen Unternehmens-Verfassung interessiert. »Mitwirkung am Arbeitsplatz, Delegation von Verantwortung, Gewinnbeteiligung - das waren für deutsche Unternehmer viele Jahre lang ausgesprochene Angstbegriffe. Bei Bertelsmann waren sie Alltag.« Diese Aspekte sind Jungblut in den zuletzt veröffentlichten Büchern viel zu kurz gekommen: »Sie aber sind das eigentliche Thema, wenn man über Bertelsmann spricht.«
Das etwa 400 Seiten starke Buch soll im Mai im Verlag Hoffmann & Campe erscheinen. Titel: »Nun machen Sie mal...«.

Artikel vom 27.01.2006