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Alles andere als Leipziger Allerlei

Thomanerchor und Gewandhausorchester gastierten bei »Pro Musica«


Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wenn Musik in ihrer ingeniösen Wiedergabequalität einen inneren Nachhall bewirkt, kann die Zeit vom Verstummen des letzten Tones bis zum Losbrechen des Applauses schon mal bedenkliche Längen annehmen. Thomanerchor und Gewandhausorchester Leipzig aber entfalteten beim fünften »Pro Musica«-Konzert einen derartigen Sog aus Rührung und Berührung, dass ein am Ende völlig konsterniertes Oetkerhallen-Publikum zunächst fast ganz das Klatschen vergaß.
Als eine von fünf Städten kann Bielefeld sich glücklich schätzen, einen Gastauftritt des renommierten Chores und Orchesters verbuchen zu dürfen. Zwar ist das hiesige Publikum dank ambitionierter Laienchöre bestens versorgt, gleichwohl führt das musikalische Niveau der auch optisch schmucken Thomaner unmittelbar in den Olymp der Vokalkunst.
Sicherlich klingt ein Knabenchor von Natur aus reiner und unmanierierter als ein gemischtes Gesangsensemble. Alleinstellungsmerkmale sind die durch regelmäßige Schulung kultivierte Stimme, Artikulation und Ausdrucksflexibilität eines jeden Sängers in Verbindung mit einer optimalen Klangbalance. Und Georg Christoph Biller, seit 1994 künstlerischer Leiter und 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach, formt aus dem Rohmaterial tiefgründige geistliche Musik, die rein aus dem religiösen Empfinden zu entspringen scheint, auf Extravaganzen verzichtet und dennoch (oder gerade deshalb?) schaurig-schöne Momente hervorbringt.
Bei Mozarts »Requiem«, aufgeführt exakt am 250. Geburtstag des gefeierten Komponisten, geht Biller textimmanent deutend zu Werke und entfaltet aus stiller, rhythmisch federnder Bitte um ewige Ruhe ein um Rache und Richter kreisendes, aufwühlenden Hör-abenteuer. Subtil eingeleitet durch ein in Dynamik und Phrasierung mit dramatischer Spannung angereichertes »Kyrie« und »Christe eleison«, zielt das »Dies irae« in aller Schärfe auf die drängende Ungewissheit der Endabrechnung. Aus tiefster Verzweiflung rührt der Gnadenruf des »Rex tremendae«, abgelöst von einer überirdisch schwebenden Leichtigkeit im »Lacrimosa« - um nur einige der ausgefeilten Höhepunkte dieser umjubelten Wiedergabe zu nennen.
Das Gewandhausorchester und ein ausgezeichnetes Solistenquartett (Jutta Böhnert, Susanne Krumbiegel, Martin Petzold, Gotthold Schwarz) fügten sich uneitel zurückhaltend ins Gesamtkonzept. Viel Applaus gab es bereits vor der Pause für Chorwerke von Mendelssohn. Der pure Knabenchor-Klang machte besonders aus der Motette »Denn er hat seinen Engeln befohlen« ein Gänsehaut-Stück. Großartig auch der Psalm »Wie der Hirsch schreit«.

Artikel vom 28.01.2006