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FC St. Pauli
träumt schon
vom Endspiel

Bremer Breitseite gegen den DFB

Hamburg (dpa). Als die Drittliga-Kicker des FC St. Pauli noch Stunden nach dem historischen Pokalsieg in der überfüllten Vereinskneipe ihre Après-Ski-Party feierten, feuerte der im Schnee-Gleiten ungeübte Champions-League-Teilnehmer Werder Bremen verbale Breitseiten auf den DFB ab.

»Das war fahrlässig und verantwortungslos. Unter diesen Bedingungen hätte das Spiel nie stattfinden dürfen«, polterte Trainer Thomas Schaaf nach der 1:3-Schmach seiner Elf im Pokal-Viertelfinale beim Hamburger Favoritenschreck und führte als Beweis die ausgekugelte Schulter von Nationalspieler Miroslav Klose an. Der Torjäger erlitt einen Sehnenanriss und muss nun drei bis vier Wochen pausieren.
Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs legte nach: »Wenn wir eine Spaßveranstaltung wollen, dann können wir ja Schlamm-Catchen oder Glatteissurfen machen - aber doch nicht Fußball spielen auf diesem Boden.« Dem DFB liegt bereits ein Beschwerdebrief, der aber nicht als Protest zu werten ist, auf dem Tisch. Der DFB kündigte in einer ersten Reaktion an, dass er die Kriterien für die Bespielbarkeit von Plätzen neu überdenken will.
Das verschneite Geläuf am Hamburger Millerntor hatte Werder nicht nur die Standfestigkeit, sondern auch die Contenance geraubt. »Wie Allofs die Platzkommission unter Druck gesetzt hat, das war am Rande der Nötigung«, schimpfte noch am nächsten Morgen St.-Pauli-Präsident Corny Littmann mit rauer, partygestresster Stimme. »Er hat den Schiedsrichter gefragt, ob der nicht wisse, wie viel Werders Spieler wert sind und ihm dann gedroht: 'Wenn sich ein Nationalspieler verletzt und wir deshalb die WM nicht gewinnen, sind Sie schuld'.« Bremens Ex-St.-Paulianer Ivan Klasnic befand gar: »Wenn Bayern München hier hätte spielen sollen, wäre nicht angepfiffen worden.«
Trotz aller Diskussionen und Lamenti: Der FC St. Pauli ließ sich den ersten Halbfinaleinzug seiner Geschichte nicht kleinreden und hielt die ausgelassene Stimmung im Vereinsheim und später beim Stamm-Griechen bis zum frühen Morgen am Kochen. Littmann ließ zu fortgeschrittener Stunde alle Zurückhaltung fallen: »Wenn wir die Bayern erst im Endspiel kriegen, wäre es gut. Aber wir nehmen sie auch im Halbfinale.« Nach Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen werde der nächste Rivale garantiert wieder ein B sein, meinte der Vereinschef und zählte auf: »Bielefeld, Bayern, Bankfurt. ..«
St. Paulis Schatzmeister muss sich nun nach einer größeren Schatulle umsehen. Knapp über eine Million Euro hat der mit 1,6 Millionen Euro verschuldete Verein bis zum Viertelfinale eingenommen. Im Halbfinale gibt es Nachschlag: weitere 1,1 Millionen. »Wenn wir das Finale erreichen, sind wir saniert. Unglaublich, traumhaft...«, jubelte Littmann. »Aber wir werden noch nicht für Berlin buchen.« Die heimliche Hoffnung: Träfe die Stadtteilelf im Finale auf die Bayern, wäre der UEFA-Cup-Einzug perfekt.
Der neue Reichtum verleitet den Tabellendritten der Regionalliga Nord aber nicht zur Großzügigkeit. Pressesprecher Christian Bönig stellte fest: »Bisher wurde hier jeder Cent umgedreht. Das bleibt auch so. Das ist nun mal unsere Philosophie. Aber noch wichtiger ist: Wir stehen wieder auf der deutschen Fußball-Landkarte.«

Artikel vom 27.01.2006