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Eine Tasche aus 70 000 Perlen

»Chic von gestern« im Fächer-Museum - 180 Exponate aus eigener Sammlung

Von Sabine Schulze (Text) und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). 70 000 Perlen mussten nach einer klaren Vorgabe aufgefädelt werden - eine Aufgabe für Männer. Ihre Frauen übernahmen dann in Heimarbeit das Stricken: Sie fertigten aus den Perlenschnüren in vier- bis sechswöchiger Arbeit kunstvolle Perlentaschen. »Diese Taschen waren Luxusartikel, die vor gut 100 Jahren in alle Welt exportiert wurden«, sagt Marie-Luise Barisch. In einer Sonderausstellung zeigt die Barisch Stiftung in ihrem Fächer-Museum unter dem Motto »Chic von gestern« bis zum Jahresende Taschen, Taschen, Taschen.

In Antike und Mittelalter trugen Mann und Frau ihr Geld in Beuteln am Gürtel. Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert, als die Frauenkleider ausladend waren, verbargen die Damen ihre Taschen - zumeist als Paar auf jeder Seite der Hüfte - unter dem Rock. »Über Seitenschlitze im Kleid kamen sie an die Taschen heran«, erklärt Marie-Luise Barisch. Als aber im 18. Jahrhundert die Antike wieder entdeckt wurde, wurden die Kleider eng und schmal. »Und damit gab es keinen Platz mehr für Gewandtaschen.« Etwas Neues musste also her.
In 180 Exponaten - das älteste von 1810 - zeigen Marie-Luise und Günter Barisch wie sich die Taschenmode entwickelte. Zunächst griff die Damenwelt zum »Ridikül«, einem lächerlich kleinen Beutel, in den lediglich Kamm, Taschentuch, die obligate Handarbeit und ein paar Münzen passten - schließlich musste seine Besitzerin keine Einkäufe tätigen. Getragen wurde der Beutel mit einer Kordel oder Kette am Handgelenk. Was anfangs noch selbst gefertigt wurde, kam bald aus Manufakturen oder wurde in Heimarbeit hergestellt und über Verleger auf den Markt gebracht. Zunehmend wurden die Beutel auch kunstvoller - waren aus Gold- oder Silbergeflecht gewebt, mit Petit-Point-Stickerei verziert oder aus Perlen gestrickt und gehäkelt. Rosen waren beliebte Motive, nach der Weltausstellung in Wien (1873), als erstmals Perserteppiche ausgestellt wurden, ahmte man deren Muster nach, und der Jugendstil war floral. Die Bügel waren aus Elfenbein, aus Silber oder Schildpatt.
Daneben gab es kleine Truhentaschen - ausgestellt ist ein Exemplar von 1830 aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha, offenbar ein Andenken, da es von Lithographien aus Harvestehude geziert wird - oder Münzbeutel, »quasi die Nachkommen des Sparstrumpfs« wie Günter Barisch meint: Kunstvoll geschmückte, mit Perlen verzierte »Schläuche«, die am Gürtel getragen wurden. Sie hatten einen kleinen Schlitz in der Mitte, aus dem man das Geld klaubte. »Auf der einen Seite des Schlitzes wurden die Pfennige aufbewahrt, auf der anderen die Taler.« Die Handtasche, wie wir sie heute kennen, geht auf das Handgepäck für den Zugreisenden zurück, das Louis Vuitton erfand, als das Reisen immer beliebter wurde. Auch moderne Taschen sind also vertreten.
Für Schmunzeln aber wird bei den Besuchern zweifellos eine Brokattasche mit »Flohfalle« sorgen: einem Behältnis aus Elfenbein mit kleinen Löchern. »Es wurde mit einem blutigen Wattebausch gefüllt und unter dem Rock oder unter der Perücke getragen. Das Blut lockte die Flöhe an, sie saugten sich voll - und kamen nicht mehr aus den Löchern heraus«, erklärt Marie-Luise Barisch. Ausschütteln genügte, und man war die lästigen Sauger los.
Das Deutsche Fächer-Museum (wie das einstige Fächer-Kabinett jetzt heißt), Am Bach 19, ist mittwochs, donnerstags und freitags von 14.30 bis 17.30 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet.

Artikel vom 26.01.2006