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Videos voller Geheimnisse

»Caché« errang in Cannes den Preis für die beste Regie


Die Kamera blickt in eine stille Pariser Straße. Es ist friedlich, Vögel zwitschern, hin und wieder nur fährt ein Auto vorbei oder huscht ein Fußgänger durchs Bild. So geht es am Anfang des Films »Caché«, der in Cannes im vergangenen Jahr den Preis für die beste Regie bekam, eine Minute, dann zwei, noch länger, und wenn man sich fragt, ob das irgendwann ein Ende haben wird, bleibt das Bild plötzlich stehen und läuft rückwärts: Wir haben nur ein Videoband mitverfolgt. Der österreichische Regisseur Michael Haneke, der für erbarmungslos realistische Gewaltszenen und ein raffiniertes Spiel mit seinem Publikum bekannt ist, zeigt sich erneut auf der Höhe seiner Kunst.
Besagtes Video kam ohne weiteren Kommentar bei George (Daniel Auteuil), dem erfolgreichen Moderator einer Literatur-Talkshow an. Eine bewegungslose Kamera nahm einfach nur den Eingang des Hauses auf, in dem er mit seiner Frau Anne (Juliette Binoche) und ihrem vorpubertären Sohn Pierrot wohnt.
Ein böser Scherz? Oder eine verschleierte Drohung mit der Warnung: »Wir wissen wo du wohnst«? Schließlich kann man im Literaturbetrieb bei einem beleidigten Autor schnell in Ungnade fallen.
George und Anne sind verängstigt und ratlos, auf Hilfe der Polizei ist nicht zu rechnen, die unklare und dadurch allgegenwärtige Bedrohung vergiftet das Familienleben - und der Strom der anonym zugeschickten Videos reißt nicht ab. Schlimmer noch: Sie werden immer persönlicher, zeigen das Haus von Georges Eltern - und langsam wird klar, dass sich in Georges Vergangenheit ein dunkles Geheimnis verbirgt, dass ihn nun einzuholen scheint.
Die Geschichte weiter zu erzählen, hieße, das Kinoerlebnis zu verderben. So viel sei verraten: Man sollte nicht damit rechnen, das Kino mit Antworten auf alle Rätsel zu verlassen. Eher wird grübeln beim Versuch, die einzelnen Puzzleteile zu einem Bild zusammenzufügen.
Und das ist von Haneke auch so gewollt: »Ein Film soll wie eine Sprungschanze sein - er ist zu Ende aber die Gedanken des Zuschauers fliegen weiter.«

Artikel vom 26.01.2006