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Sucht im Alter
wird unterschätzt

Vor allem Alkohol und Medikamente

Berlin (dpa). »Als ich in den Vorruhestand ging, da ging das so richtig los mit dem Trinken. Früher war ich auf der Bank, da musste ich morgens pünktlich sein, mit Hemd und Schlips.«

Doch dann kam die große Leere, viel unstrukturierte Zeit und Manfred Kremer (70) wurde im Alter zum Alkoholiker. Mit diesem Schicksal ist er nicht allein: Alkohol, Tabak und vor allem Medikamente sind für viele ältere Menschen ein großes Problem, das nach Ansicht von Experten sträflich vernachlässigt oder auch verniedlicht wird. Motto: Queen Mum ist mit ihrem täglichen Gläschen Gin auch alt geworden... Doch beim Gläschen bleibt es oft nicht.
»Viele sind der Ansicht, in dem Alter lohne sich Suchthilfe doch gar nicht mehr. Doch das Gegenteil ist der Fall«, sagte Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) am Dienstag in Berlin. Zusammen mit der Barmer Ersatzkasse (BEK) und dem Kuratorium Deutsche Altenhilfe (KDA) startete die DHS dort ihre Schwerpunktkampagne »Unabhängig im Alter - Suchtprobleme sind lösbar«, mit der sie Ärzte und Pflegedienste bewegen will, stärker als bisher auf Betroffene zuzugehen.
DHS-Schätzungen zufolge haben etwa 400 000 Männer und Frauen ab 60 ein schwerwiegendes Alkoholproblem, riskant ist das Trinkverhalten bei 3,5 Millionen Älteren. Für bis zu zwei Millionen ist die Einnahme von psychoaktiven Medikamenten zur Gewohnheit geworden. »Aber genaue Zahlen sind schwer zu beschaffen, auch weil es kaum Studien zu diesem Thema gibt«, beklagte der Altersmediziner Prof. Siegfried Weyerer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (Mannheim).
»Abhängigkeit schränkt die Lebensqualität und die Selbstbestimmung im Alter stark ein«, sagte Christine Sowinski vom KDA. Besonders deutlich werde das bei der Medikamentenabhängigkeit. »In Krankenhäusern und Pflegeheimen wird viel zu unbedacht mit süchtig machenden Medikamenten umgegangen«, kritisiert sie. Viele Ältere gerieten so ohne ihr eigenes Zutun in einen Kreislauf der Sucht. Ärzte und Pflegepersonal seien hier in der Pflicht, betont auch Weyerer. »Und wir müssen weg von dem Trend, dass für jedes Zipperlein gleich eine Pille verordnet wird.«
www.unabhaengig-im-alter.de

Artikel vom 25.01.2006