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»Für Muskelspiele ist die Kanzlerin nicht zu haben, für Entschlossenheit schon eher.«

Leitartikel
Vor Merkels Nahost-Reise

In Nahost
beruhigend
wirken


Von Jürgen Liminski
Banken haben ein feines Gespür für Risiken und Realitäten. Wenn die Schweizer Großbank UBS aus dem Geschäft mit Kunden im Iran und Syrien aussteigt und dies öffentlich bekundet, dann brennt den feinen und ansonsten so gelassenen Leuten in Zürich oder in der Londoner City etwas kräftig unter den Nägeln.
In der Tat, die Anzeichen für eine Eskalation mehren sich. Der Iran zieht seine Devisen aus Europa ab, Präsident Mahmud Ahmadinedschad ruft die islamischen Staaten zum Wirtschaftskrieg gegen den Westen auf, Syriens Diktator Baschar al-Assad bezichtigt Israel des Mordes an Jassir Arafat, und der Alte vom Berge im Hindukusch, Osama Bin Laden, kündigt weitere Terroranschläge seiner neuzeitlichen Assassinen an.
Da sind Äußerungen des französischen Präsidenten Jacques Chirac über mögliche Atomschläge gegen Terrorstaaten eigentlich nur eine Reaktion, so als wenn der Lehrer in eine Oberstufenklasse kommt, in der eine heftige Keilerei im Gange ist, und ruft: Wer sich nicht sofort hinsetzt, bekommt einen Klassenbucheintrag.
In dieser Situation ist es nützlich, dass die deutsche Kanzlerin sich mit dem erregten Pariser Kollegen im Fach Verhaltensregeln abspricht. Offiziell ging es um die Ausstellung »Glanz des sächsischen Hofes - Dresden in Versailles« und um die Bekräftigung des deutsch-französischen Bündnisses zum Gedenken an den Elysée-Vertrag. Das wirkliche Thema allerdings waren und bleiben wohl auch für die nächsten Treffen der Iran und der Nahe Osten. Denn gemessen an den Reisen und Diplomaten-Äußerungen aus diesen Tagen sieht es nicht so aus, als hätte man noch fünf bis zehn Jahre Zeit in der Iran-Krise. Eher sollte man in Zeiträumen von einigen Monaten rechnen.
Da ist es gut, beizeiten einerseits die Öffentlichkeit zu beruhigen und andererseits auf mögliche Präventivschläge vorzubereiten. Zuschlagen werden die Franzosen nicht, aber sie werden, wie die deutsche Regierung Verständnis zeigen (müssen), sollte Israel zum Selbstschutz iranische Atomanlagen zertrümmern.
Beruhigend könnte Angela Merkel auch im Nahen Osten selbst wirken. In Jerusalem dürfte nach einem Sieg der radikalen Hamas bei den Palästinenser-Wahlen der Ruf nach Muskelspielen lauter werden.
Auch das Bündnis Teheran/Damaskus bereitet Sorge in Israel, ebenso dass die Europäer in ihrer Entschlossenheit gegenüber den reaktionär-fundamentalistischen Mullahs nachlassen könnten. Für Muskelspiele ist die Kanzlerin nicht zu haben, für Entschlossenheit eher. Ihre überlegt-kühle Distanz zu den Problemen dürfte die Araber beeindrucken.
Wenn die Kanzlerin allerdings glaubt, in der ständig aufgebrachten und oft fanatisierten arabischen Welt mit Normalität Probleme angehen zu können, nimmt sie sich zu viel vor. Denn dort gehört der Dschihad, das Feldgeschrei bis hin zu Gewalt und gar »heiligem Krieg« zum Alltag der Politik. In Ramallah ist Endstation für abendländische Logik. Dort endet die Beruhigungsmission, wird zur Erkundungsreise.

Artikel vom 26.01.2006