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Strafe als »Sicherheitsgurt
für eine Partnerschaft«

Ehefrau und Sohn verprügelt: Nun Aussage vom Opfer

Bielefeld (uko). Für die Justiz ist es ein ganz schlechtes Lehrbeispiel: Nach einer Prügelei unter Ehepartnern kommt es zum Prozess, in dem das Opfer die Aussage verweigert. Nur in wenigen Fällen, wie jetzt vor dem Amtsgericht, können Juristen korrigierend in der Familie eingreifen: Ein Aserbeidschaner erhielt daher nun einen »Denkzettel« in Form einer Bewährungsstrafe.

Vor Passanten spielte sich am Rabenhof diese schlimme Szene ab: Am 15. Dezember 2004 verprügelte der 44-jährige Sergej S. (alle Namen geändert) erst seinen sechsjährigen Sohn Igor, dann seine von ihm getrennt lebende Ehefrau Raissa. Zu dem Treffen auf der Straße war es nur gekommen, weil die Akademikerin ihrem Mann Bücher zurückgeben wollte, sie aber wegen seiner alkoholbedingten Ausfälle ein Rencontre in der Wohnung vermeiden wollte.
Die Frau erstattete nach den Übergriffen eine Strafanzeige bei der Polizei, wurde wegen der Geringfügigkeit des Deliktes nicht richterlich vernommen. Nach der Anklage der Staatsanwaltschaft trafen sich alle Parteien nun vor Gericht wieder.
Auf Anraten seines Verteidigers machte Sergej S. keine Aussage zu den Vorwürfen. Gleichzeitig erklärte der Rechtsanwalt dem entsetzten Amtsrichter Hermann Schulze-Niehoff, auch das Opfer werde von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Damit wäre das Verfahren hier zu Ende gewesen, ergebnislos. Schulze-Niehoff sprach von »Missbrauch der Obrigkeit«: »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich«, erklärte der Richter lapidar.
Sehr zum Erstaunen auch von Oberstaatsanwalt Klaus Pollmann sagte die Frau dann doch zur Sache aus, bestätigte die Vorwürfe. Gleichwohl bekräftigte sie, sie habe ihrem Ehemann verziehen, beide lebten auf ihre Initiative hin wieder in der gemeinsamen Wohnung und sie erwarte ein weiteres gemeinsames Kind . . .
Während der Verteidiger den Fall mit einer Einstellung des Verfahrens abtun wollte, bohrte der Oberstaatsanwalt energisch nach. So erklärte die Frau, sie und ihr Sohn ängstigten sich weiterhin, besonders wenn der Vater Alkohol trinke. Der Mann ist obendrein wegen einer Schussverletzung, die er in Aserbeidschan erlitten hat, in psychiatrischer Behandlung. Den Hinweis des Verteidigers, die Krankheit müsse schuldmindernd gewertet werden, anderenfalls müsse ein Gutachter hinzugezogen werden, konterte Pollmann mit den dramatischen Folgen für den Angeklagten: »Dann droht die Unterbringung in der Psychiatrie.«
Auf Anraten seines Verteidigers gab Sergej S. danach die Vorwürfe zu. Die Taten täten ihm Leid. Pollmanns Strafantrag - sechs Monate Bewährungsstrafe - setzte Schulze-Niehoff nahtlos um. Die Strafe, so meinten beide Juristen, sei »ein Denkzettel« und »ein Sicherheitsgurt für die weitere Partnerschaft«. Der arbeitslose Maler muss zudem 250 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten.

Artikel vom 24.01.2006