24.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Wiederholt dem Tod
ins Gesicht geschaut«

Richard Oetker spricht über Folgen seiner Entführung

Kiel/Bielefeld (WB/dpa/wosch). Fast 30 Jahre nach seiner spektakulären Entführung hat der Bielefelder Unternehmer Richard Oetker erstmals ausführlich über sein Martyrium und dessen Spätfolgen gesprochen.
Richard Oetker gestern im Kieler Landeshaus bei einem Rundgang in der Ausstellung des Weißen Rings mit Landtagspräsident Martin Kayenburg (r).

»Ich leide ein Leben lang an den Folgen der Tat«, sagte der 55-Jährige gestern in Kiel anlässlich einer Ausstellung des Opferschutzvereins Weißer Ring. Im Dezember 1976 hatte Erpresser Dieter Zlof den damals 25-Jährigen zwei Tage lang entführt und ein Lösegeld in Höhe von 21 Millionen Mark (heute etwa 10,7 Millionen Euro) für die Freilassung erpresst. Zlof wurde 1980 in einem Indizienprozess zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Es war ein Albtraum: Der 1,74 Meter große Oetker wird während seines Studiums in München entführt und in einer 1,45 Meter langen Holzkiste gefangen gehalten. Dort muss er sich unter Strom stehende Handschellen anlegen. Diese Stahlfesseln sollen ihn quälen, sobald laute Geräusche wie Hilferufe zu hören sind. Dann passiert eine verheerende Panne: Das Fahrzeug des Entführers schrammt ein Garagentor. Der Lärm löst einen Stromschlag aus, der zehn Mal stärker ist als geplant.
Oetker windet sich unter Schmerzen in der engen Kiste. Er erleidet neben Wirbelverletzungen vor allem komplizierte Knochenbrüche im Becken- und Oberschenkelbereich.
Dies und die gekrümmte Lage fügen Oetker irreparable Hüftschäden zu, die bis heute nachwirken. »Ich kann nicht lange stehen und ich kann nicht weit laufen«, schildert er. Hinzu komme die belastende Erinnerung. Zum Beispiel habe nahe einem der Verstecke häufiger ein Schäferhund gebellt: »Dieses Bellen kann ich nicht vergessen. Wenn ich alleine bin und irgendwo einen Schäferhund bellen höre, kommen sofort die Erinnerungen an die Situation wieder hoch.« Er habe während seiner Entführung »wiederholt dem Tod ins Gesicht geschaut«. Der weißhaarige Mann aus Bielefeld wirkt trotz kräftiger Statur sehr schüchtern, als er erstmals einer breiten Öffentlichkeit offen über seine Leiden berichtet.
Er sei ohne die Hilfe von Psychiatern ausgekommen, sagt er. Die immer neue Befragung bei der langen Fahndung nach Zlof habe dazu beigetragen. Damit sieht Richard Oetker sich unter Opfern schwerer Kriminalität aber als seltene Ausnahme: »Opfer kommen immer unvorbereitet in diese Rolle und stehen meist unter Schock. Während sich der Staat um die Täter kümmert, stehen Opfer oft allein da.«
Der 55-Jährige hebt in diesem Zusammenhang die Arbeit des Weißen Rings hervor, der im September 30 Jahre alt wird: »Der Weiße Ring geht auf Opfer zu.« Der Verein leiste besonders wichtige Hilfe und sei auf Spenden angewiesen. Daher habe er nun den Schritt in die Öffentlichkeit getan, um auf die Schicksale Anderer aufmerksam zu machen und für den Verein zu werben, sagt Oetker. Lange habe er geschwiegen, weil er seinen Fall »nicht in die einzelnen Wohnstuben zur allgemeinen Unterhaltung vermarkten lassen« wollte.
Dem Entführer Dieter Zlof war die Polizei erst nach zwei Jahren Fahndung auf die Spur gekommen. Vor Gericht leugnete Zlof die Tat stets und gab sie erst 1996 für eine Buchveröffentlichung zu. Mehr als die Hälfte der Beute wurde 1997 bei ihm sichergestellt, als er versuchte, das Geld in England zu »waschen«. Verdeckte Ermittler hatten ihn gezielt nach London gelockt. Wegen versuchter Geldwäsche und Betrugs wurde er in England zu zwei Jahren Haft verurteilt und nach einem Jahr von den britischen Behörden nach Deutschland abgeschoben.
Die zweite Hälfte der Beute war in vergrabenen Plastiksäcken vermodert oder von Tieren angefressen worden.
»Ich verspüre heute keinen Hass gegen ihn«, sagt Oetker mit Blick auf seinen Entführer. Dass Zlof die volle Höchststrafe von 15 Jahren abgesessen hat, sei ihm aber wichtig: »Ein Täter muss eine angemessene Strafe bekommen, um damit Andere zu warnen, dass sich Verbrechen nicht lohnt.«
Die Entführung von Richard Oetker war 2001 mit seiner Mitarbeit unter dem Titel »Der Tanz mit dem Teufel« verfilmt und als Zweiteiler im Fernsehen gesendet worden. Christoph Waltz spielt den Täter, Sebastian Koch die Rolle des Entführten, Sophie von Kessel dessen Freundin und Tobias Moretti den zuständigen Ermittler Georg Kufbach.
www.weisser-ring.de

Artikel vom 24.01.2006