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Von Matthias Meyer zur Heyde

Fußball
philosophisch

Warum wurde Hellers Gala abgesagt?

Noch 132 Tage bis zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft.

Es war in den 50ern, im Stimberg-Stadion zu Erkenschwick, und es stand 1:1 gegen Schalke, da stöckelte Friedchen Matejka auf den Rasen und verhaute mit ihrem Regenschirm den Schalker Paul Matzkowski, weil der soeben ihren Mann Kalli gefoult hatte. Eiligst wurde der Sicherheitszaun erfunden und überall installiert, nur nicht im Berliner Olympiastadion. Und bevor noch die Stiftung Warentest »erhebliche Mängel« sagen konnte, war schon André Heller zur Stelle und dachte, hey, kein Sicherheitszaun, prima, da mach ich 'ne Gala.
Zur WM 1974 komponierte Jack White »Fußball ist unser Leben«, fertig war Deutschlands kulturelles Rahmenprogramm. Diesmal hat der DFB-Kulturkatalog 128 Seiten, und wenn man den regenschirmartig zusammenrollt und damit auf die Fans losgeht . . . Doch nun zu etwas ganz anderem.
Es war ausgangs des Mittelalters, da hub Frankreichs König Karl IV. an und sprach also zum Herzog von Savoyen: »Ich wünsche, dass sonntags jeder sein Huhn im Topfe hat.« Zwar reichte es dann nur zu Gänsestopfleber, aber der König, immerhin, hatte jeden Tag ein anderes Huhn (frz.: la maitresse) im Bett, bevor er von einem Schulmeister ermor--- Da tritt ein Kollege aus der Sportredaktion an meinen Schreibtisch und sagt, Matze, sagt er, verrat mir doch mal, was das jetzt mit Fußball zu tun hat.
Okay. So ein Huhn, mit der Aussicht konfrontiert, im Topfe zu landen, ist verdammt schnell. Außerhalb des Topfes verläuft sein Fluchtweg schleifenförmig. »Schleife« heißt auf portugiesisch »moña«. In Brasilien spricht man Portugiesisch. Und jetzt darfst du genau einmal raten, erlaube ich dem Kollegen, warum Brasiliens Fußballer, die ja aus Huhn mit Reis die Kraft zu ihren unwiderstehlichen Dribblings ziehen, stets moñamäßig durch die Reihen ihrer Gegner tanzen.
Der Kollege rät auf Anhieb richtig. Die trainieren das regelrecht mit ihren Hühnern, trumpfe ich auf, das weiß ich alles aus dem »Lexikon der Fußballmythen«. Schlagartig wird jetzt auch klar, warum die Brasilianer André Heller gestoppt haben: Galas machen das Spielfeld kaputt - und keine Schleifen auf kaputtem Rasen. Das letzte Mal, dass Peter Gabriel und Jessye Norman (die von Heller fest eingeplanten Stargäste) in einer Fußballarena gesungen haben (in Wembley war's), musste man danach das Stadion abreißen.
Ja, das ehrwürdige Wembley, seufzt der Kollege. Bevor er anfängt zu weinen, erinnere ich ihn leise daran, schon die alten Griechen hätten erkannt, dass die Rasenpflege zu den tragischen Künsten gehört, denn »der Augenblick ihrer Vollendung durch den Platzwart fordert gebieterisch ihre Vernichtung. Der Held muss untergehen im letzten Akt - das Grün auch«, dozierte der Autor Horst Krüger am 22. Juni 1974 in Gelsenkirchen. Interessierte damals keinen, weil zeitgleich auf Schalke die Brasilianer gebieterisch Zaires Vernichtung forderten (Endstand 3:0).
Peter Gabriel und Jessye Norman müssen leider draußen bleiben. Vielleicht hätten sie eine Chance gehabt, wenn sie sich Friedchen Matejkas Regenschirm besorgt hätten. Ich glaub's aber eher nicht. Der enttäuschte Gabriel behauptet jetzt, das Paradies sei verloren - »die Welt ist nur noch Schmutz.« Blättern Sie wieder auf diese Seite, wenn Sie André Heller sagen hören: »Leise flehen meine Lieder, doch der Schmutz sagt bloß: Na und?«

Artikel vom 28.01.2006